Karl Friedrich Borée: Ein Abschied (1951)

Ende Januar 1945 steht die Stadt Königsberg kurz vor der Einkesselung. Unaufhaltsam rücken die Russen näher, während die Propaganda der Nazis vom Durchhalten spricht und die drohende Gefahr verharmlost. Die Bewohner sollen zu Hause bleiben; sie seien in ihren Häusern sicher, weil der Russe ein anderes Ziel habe. Trotzdem ist der Aufbruch zur Flucht unverkennbar. Auf den Straßen liegen tote Soldaten, die bei ihrer Fahnenflucht erschossen worden sind. Das Zentrum der Stadt und der Hafen liegen in Trümmern, nur die Außenbezirke und die Chemiefabrik sind noch nicht zerstört. Marian Burger hatte das Glück, als leitender Chemiker unverzichtbar zu sein. Doch mit dem Eintreffen der Russen ändert sich auch sein beschauliches Leben. Der Krieg ist bei ihm angekommen. Die Angst der Nazis und Bürger vor Repressalien überschattet das Ende ihrer bisherigen Unterdrückung. Sie befinden sich nun alle in gesetzlosen Verhältnissen. Alles ist dem Sieger erlaubt.

Burger flieht in der Nacht aus Königsberg, der Gedanke, unterwegs bei seiner ehemaligen Verlobten Ulrike vorbeizuschauen, bringt ihn in Gefahr, entweder im Schneegestöber zu erfrieren oder von Soldaten als Fahnenflüchtiger erschossen zu werden.

Karl Friedrich Borée wurde 1886 in Görlitz geboren und lebte unter anderem in Königsberg. Nach seinem Jurastudium erlebte er zwei Weltkriege. Sein erster Roman »Dor und der September« wurde 1930 sein größter Erfolg. Der Roman Ein Abschied erschien erstmalig 1951. Sein wichtigster Roman Frühling 45 wurde 1954 veröffentlicht. Zehn Jahre später verstarb er.

Der Autor hat bereits in seinem Roman Frühling 45 anschaulich gezeigt, wie sich das Leben der Bürger nach der Besetzung verändert. Viele wählten vor dem Eintreffen des Feindes den Freitod. Die Verbliebenen versuchten zu überleben.

In seinem wesentlich kürzeren Roman Ein Abschied wirft der Chemiker Marian Burger und Ehemann wider Willen mit vollem Magen in seiner warmen Stube existenzielle Fragen auf: Wie konnte es dazu kommen? Hätte man noch 1932 als Mehrheit das Erstarken der Nazis verhindern können? Ist der Mensch mit seinen Fehlern und Schwächen ein Garant für menschenfeindliche Politik? Auf seiner Flucht vor den Russen sind die eigenen Schwächen und Fehler der wahre Motor für sein Handeln und Denken. Er hat etwas gutzumachen, bevor alles zu spät ist.

Die Romane von Karl Friedrich Borée dürften für alle Literaturliebhaber Schatzkisten sein. Beim Schmökern finden sich neben wertvollen Erinnerungen und sprachlichem Können auch humanistische Anschauungen, die inzwischen nicht mehr vorausgesetzt werden dürfen.

Karl Friedrich Borée: Ein Abschied (1951).
Lilienfeld Verlag, Oktober 2019.
184 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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