Justin Travis Call: Die Keos-Saga 01: Sohn der Sieben

Das versteckt liegende Dorf Chaenbalu hat ein Geheimnis. Nein, ich meine jetzt weder den einäugigen Schmied, noch den findigen Priester Sodar, sondern den Orden, der hier, fernab der Metropolen, eine Akademie betreibt. Hier werden sie ausgebildet, die jungen Novizen die eines Tages die Welt bereisen und dabei auf Suche nach magischen Artefakten gehen sollen um sie im unterirdischen Verlies sicher wegzuschließen. Dass die Stäbe und Kleidungsstücke, Waffen und Hilfsmittel von Keos, dem Verderber höchstelbst geschaffen wurden ist den Ordensmitgliedern Grund genug, alles was mit diesen zusammenhängt zu verdammen und für immer aus dem Verkehr zu ziehen.

Eine der Akolythen, Annev, lebt nicht mit seinen Mitschülern in der Akademie, sondern wird von Sodar im Tempel aufgezogen. Sein Tag beginnt noch weit früher, als die seiner Mitstudierenden, unterrichtet sein Mentor ihn doch in etwas, das, so es bekannt würde, dazu führen würde, dass Beide, Lehrer wie Schüler gesteinigt würden. Annev besitzt die Gabe der Magie. Einst, bei seiner Geburt wurde er als Kind Leos mit nur einem Arm geboren. Der Vorsteher des Dorfes sorgte dafür, dass seine Eltern geopfert wurden, das Kind sollte im Wald ausgesetzt, den wilden Bestien als Nahrung dienen. Sodar rettete den Säugling, statte ihn mit einer getarnten, künstlichen Gliedmaße aus und zog den Jungen auf. Jetzt gilt es die letzte, entscheidende Prüfung des Urteils erfolgreich hinter sich zu bringen. Annev will diese unbedingt bestehen, da nur den Avataren des Urteils erlaubt ist zu heiraten – und die Tochter des Akademievorstands Myjun ist doch zu schön anzuschauen und scheint auch etwas für unseren Jungen zu empfinden.

Vor der Romanze aber haben die Götter die Prüfung gesetzt und hier muss sich Annev der Anfeindungen insbesondere des brutalen Fyn, der selbst ein Auge auf Myjun geworfen hat, erwehren. Nur mit Hilfe seines Mentors gelingt es ihm, nachdem ihn seine Mitschüler überfallen und schwer verletzt haben, überhaupt an den Prüfungen teilzunehmen. Er weiß, wenn sein Geheimnis um die fehlende Hand je aufgedeckt würde, wenn bekannt würde, dass er magische Gaben sein Eigen nennt, würde er gnadenlos verstoßen und gesteinigt. Dabei mehren sich die Vorkommnisse, an denen er seine künstliche Hand kaum mehr verbergen kann. Als er die Prüfung besteht, scheint sich alles ein wenig zu beruhigen – bis sich dunkle Schatten auf Annevs Spuren setzen und das Dorf selbst von finsteren Mächten angegriffen wird …

Fast 800 Seiten zusammenzufassen ist vorliegend nicht einfach. Dabei passiert im ersten Drittel des Roman wenig. Die Handlung kommt kaum von der Stelle, der Autor nimmt sich Zeit und Platz, um uns seinen Protagonisten und dessen Umgebung vorzustellen. Die Welt selbst bleibt eher im Hintergrund, Call konzentriert sich darauf, uns einen jungen Mann zu präsentieren, der versucht es allen recht zu machen. Er will sich selbst beweisen, dass er es auf der Akademie schafft in den Rang eines Avatars aufzusteigen, muss aber auch aufpassen, dass sein großes Geheimnis gewahrt bleibt. Dazu kommen die massiven Anfeindungen der Mitschüler, die ihm seine Sonderrolle als Heimschläfer neiden. In Fyn heftet sich ein fieser Brutalo auf seine Fersen, der ihn in bester Mobbing-Tradition heimsucht, ihn isoliert und körperlich angeht.

Das alles ist nett, lässt aber – noch – die große Dramatik vermissen. Gut 300 Seiten sind um, und nichts wirklich Fesselndes ist passiert. Diese Durststrecke muss der Leser überstehen, bevor es wirklich dramatisch und packend wird. Dies soll nun nicht heißen, dass der Plot im ersten Drittel des Romans nicht das Potential hätte, den Leser zu fesseln, allein, der große Besondere, der Konflikt oder die Bedrohung bleiben hier diffus, werden kaum thematisiert. Danach aber kommt das, was die Herausgeber dazu bewogen hat, den Roman – den ersten Teil einer noch zu schreibenden Saga – aus dem monatlichen Produktion herauszuheben.

Neben einem den Blick auf sich ziehenden, geprägten Cover in Spot Lackierung und der Ausgliederung ins Penhaligon Label sind die farbigen Karten auf der Innenseite der Umschlagdeckel zu nennen. Und es wird dramatisch! Unser Avatar führt eine Mission an, gerät mit dunklen Wesen aneinander, wird gejagt, verletzt, verraten und gefangen gesetzt – jetzt ist die bis dahin vermisste Action da und der Plot gewinnt deutlich an Fahrt.

So bleibt ein wenig ein zwiespältiger Eindruck zurück. Einem recht verhaltenen Beginn folgt ein rasantes Mittelteil, dem der Autor einen fulminanten Schluss folgen lässt.

Justin Travis Call: Die Keos-Saga 01: Sohn der Sieben.
Penhaligon, März 2019.
800 Seiten, Taschenbuch, 16 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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