Judith Merchant: Atme!

Es sollte ein ganz normaler Shoppingausflug werden. Nile und ihr Freund Ben. Und dann ist da dieses Kleid im Schaufenster. Nile und Ben betreten den Laden, sie probiert das Kleid an – vielleicht wäre es ja was für die anstehende Hochzeit? Doch als Nile aus der Umkleidekabine kommt, ist Ben wie vom Erdboden verschluckt und auch vor dem Laden kann sich niemand an ihn erinnern. Panisch ruft Nile in den Krankenhäusern der Umgebung an und telefoniert schließlich auch die Freunde von Ben ab, von denen er sich in der letzten Zeit distanziert hatte. Niemand interessiert sich für Bens Verschwinden! Nur Bens noch-nicht-ganz-Ex-Frau Flo scheint Anteil zu nehmen und möchte Nile helfen. Doch sagt sie wirklich die ganze Wahrheit?

Judith Merchant spielt in ihrem Thriller „Atme!“ mit der Wahrnehmung der Leserinnen und Leser, aber auch mit Niles Bezug zur Realität. Nile wird oft panisch, weshalb Ben mit ihr ein Ritual entwickelt hat, um sie auf den Boden der Tatsachen zurückzubringen. Immer wenn diese Stimmung in ihr aufkommt, geht er dieses Ritual mit ihr durch:

„Atme, Nile!
Das sagt Ben immer.
Atme.
Du musst nichts tun, Nile.
Atme ein.
Und jetzt atme aus.“
(Zitat Kapitel „Atme, Nile!“)

Dann gelingt es der jungen Frau meistens, sich zu beruhigen. Dieses Ritual zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman und erdet die Protagonistin, aus deren Sicht die Geschichte ausschließlich erzählt wird, immer wieder.

Niles und Bens Geschichte ist komplexer als sie auf den ersten Blick aussieht. Die beiden lernten sich kennen, als Ben und Flo noch lange ein Paar waren. Als es zwischen ihnen ernst wurde, zog Ben einen Schlussstrich unter die Ehe mit Flo, die Scheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Im Freundeskreis der beiden kam die Trennung und mit ihr Ben danach nicht mehr so gut an. Aber Nile hat Ben sowieso viel lieber für sich ganz allein. Dass sie ein dunkles Geheimnis trägt, welches die Geschichte noch weiter in Wirrungen stürzt, wird erst nach einigen Kapiteln klar.

Judith Merchant gelingt es hervorragend, Leserinnen und Leser, aber auch ihre Figuren auf immer neue Pfade zu bringen. Manche von ihnen sind zielführender als andere, manche klare Sackgassen. Und es mag vorkommen, dass man bis kurz vor Schluss nicht recht weiß, was los ist. „Atme!“ ist ein gelungenes Verwirrspiel, das sich toll lesen lässt. Gerne mehr davon!

Judith Merchant: Atme!.
Kiepenheuer&Witsch, August 2019.
384 Seiten, Taschenbuch, 15,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Janine Gimbel.

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