Joy Fielding: Solange Du atmest

Robin glaubt ihre verkorkste Familiengeschichte hinter sich gelassen zu haben. Sie ist dem ungeliebten Elternhaus längst entronnen und arbeitet als Psychotherapeutin. Sicherlich kein Zufall, ging sie doch, als ihre beste Freundin ihren Vater heiratete. Und auch das Verhältnis zu ihrer Schwester war noch nie problemlos. Da erhält sie von eben jener Schwester einen Anruf: Ihr gemeinsamer Vater, seine Frau (Robins ehemalige beste Freundin) und deren gemeinsame Tochter wurden bei einem Raubüberfall schwer verletzt. Noch bevor Robin in ihrer Heimatstadt eintrifft, stirbt ihre Freundin, ihr Vater liegt im Sterben, einzig die Tochter hat noch eine Überlebenschance.

Dass Joy Fielding schreiben kann, hat sie ja bereits mit etlichen Vorgängerromanen bewiesen. Gut und flüssig zu lesen also. Was mich aber an diesem Roman wirklich fasziniert hat, war die Art und Weise, wie Robin sich Stück für Stück in ihre eigene Vergangenheit verfängt, kaum dass sie ihr Heimatdorf wieder betreten hat. Sofort ist die Angst vor der unverblümten Schwester wieder da, sofort das schlechte Gefühl bei ihrem Vater, der ihr ja wirklich nichts mehr tun kann. Sie verfängt sich so in alte Gefühle und Muster, dass ihr das lange den Blick für die Wahrheit verstellt. Sie beginnt sogar an der Liebe ihres Freundes zu zweifeln, dabei ist diese Beziehung so ganz anders, als die von ihrer Mutter zu ihrem Vater es war. Aber die Erinnerungen fangen Robin immer wieder ein, sie verfällt in alte Muster. Das große Können von Joy Fielding zeigt sich in diesem Roman daran, dass es ihr gelingt das zu zeigen, ohne dabei mit dem Finger drauf zu deuten. Es passiert eher unmerklich und ändert sich erst, als jemand von außen, nämlich ihr Freund, beginnt aktiv in das Geschehen einzugreifen und sich eben nicht einfach in Robins Denkmuster einpasst. Plötzlich passen auch die anderen Personen nicht mehr so richtig, haben sich verändert oder werden falsch erinnert. Auf einmal ist auch die Schwester nicht mehr so ein Drachen, sondern eigentlich ganz lustig.

Es ist nicht die große Katharsis, die Robin hier durchleben muss, aber doch eine Veränderung, eine Versöhnung mit ihrer Vergangenheit. Sie begreift, dass ihr heute nur noch ein Mensch aus ihrer Vergangenheit schadet: Sie selbst.

Ein Roman für alle, die auch noch was zu verarbeiten haben.

Joy Fielding: Solange du atmest.
Goldmann, Juli 2017.
448 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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