John Niven: Die F*ck-It-Liste

Als John Niven diesen Roman 2020 schrieb, hätte er als politische Satire durchgehen können. Im Jahr 2022 liest er sich hingegen wie eine bittere Realität. Denn vieles, was der Autor im Amerika des Jahres 2026 als fiktive Dystopie entwirft, ist längst eingetreten. Zwar ist Trump momentan kein Präsident mehr, doch Schul-Amokläufe, die Verankerung des Waffenrechts und der gekippte „Roe versus Wade“-Beschluss spalten das amerikanische Volk. In Nivens Roman ist die Gesellschaft schon einen Schritt weiter: Amerika hat sich in ein Land verwandelt, „… wo das Undenkbare erst denkbar, dann machbar und schließlich alltäglich geworden war.“ (S. 250)

Im Mittelpunkt steht Frank Brill, der alles verloren hat: seine Frau, seine Kinder, seine Gesundheit, seine Hoffnung. Der ehemalige Chefredakteur musste einige schwere Schicksalsschläge hinnehmen, die er auf die fatalen Entschlüsse unter der Trump Regierung zurückzuführt. Zwar sitzt im Jahr 2026 Tochter Ivanka im Präsidentenamt, welche sich nur geringfügig von ihrem Vater unterscheidet, doch Donald Trump hält im Hintergrund alle Fäden in die Hand und macht Stimmung gegen Ausländer, „Schmarotzer“, Schwuchteln und allem, was nicht ins Weltbild passt. Der Supreme Court ist längst ultrakonservativ besitzt, die Presse gleichgeschaltet, wichtige Grundrechte ausgehebelt. Nordkorea wurde im Atomkrieg von der Landkarte getilgt und soll in 30 Jahren, sobald die Strahlenwerte es wieder zulassen, zum 51. Bundesstaat von Amerika werden. Nun hat der vereinsamte, 60-jährige Frank Darmkrebs im Endstadium. Folglich nichts mehr zu verlieren. Sein letzter Akt: Fünf Personen auf seiner F*ck-It-Liste aus dem Weg zu räumen, die er auf persönlicher oder politischer Ebene für sein Leid verantwortlich macht.

Messerscharf skizziert John Niven den Rachefeldzug seines Protagonisten. Und macht uns unbewusst zu Mittätern. Während er die schonungslos unsympathischen, radikal-verblendeten Figuren skizziert, denen es an den Kragen geht, kommt eine gewisse Genugtuung beim Lesen auf. Doch auch Frank ist kein Engel und hat es zum Beispiel mit der Treue nie ernst genommen, wodurch er ebenfalls eine Reihe von katastrophalen Kettenreaktionen in Gang gesetzt hat. Dennoch ist Frank ein wahrer Sympathieträger im Vergleich zu seinem Antagonisten, dem rassistischen, pädophilen, unablässig Fast-Food in sich hineinstopfenden Polizisten Chops, der ihm auf den Fersen und nebenbei glühender Trump-Anhänger ist. Doch es ist vor allem die Allgemeinheit, quer durch alle gesellschaftlichen Schichten, die sich als Mitläufer positionieren. Auch Intellektuelle, wie Franks ehemaliger Chef bei der Zeitung, sind längst von Fake News durchdrungen und im geschützten Rahmen bereit, ihre Ansichten lautstark hinauszuposaunen. „Frank fiel immer wieder auf, dass man Männer einer gewissen Generation bloß von ihren Frauen trennen musste, etwa indem man sie in die riesige Green-Bar eines Golfplatzes pferchte, und schon kam es zu einer eigentümlichen Transformation. Plötzlich fühlten die Kerle sich frei, ganz sie selbst zu sein – oder zumindest eine Variante ihrer selbst, die sie zu Hause, in halbwegs gesitteter Gesellschaft, nicht sein konnten.“ (S. 224)

Obwohl uns der schottische Autor John Niven, berühmt geworden durch Romane wie „Kill your friends“ in seinem Roman einige schwer zu schluckende Szenen zumutet (Stichwort: Schulmassaker, NRA-Trolle & Co) verliert er nie ganz seinen schwarzen Humor und eine gewisse lakonische Distanz zum Geschehen. So reüssiert Frank über seine Chancen, gefasst zu werden: „Im Jahr 2025 war es in den USA zu 29456 mit Waffengewalt begangenen Tötungsdelikten gekommen, darunter zweiundvierzig Massenerschießungen – ein neuer Rekord. Vor diesem Hintergrund sahen Franks läppische sieben Morde exakt nach dem aus, was sie im Grunde auch waren: vier willkürliche Akte völlig normaler Durchschnittsgewalt.“ (S. 267/68)

Fazit: Ein rabenschwarzes, knallhartes, temporeiches, schockierendes, kurzum irre gutes Buch, das vielleicht gerade noch zur rechten Zeit kommt. Zu einem Zeitpunkt, an dem die Dystopie zur Realität zu werden droht. Äußerst lesenswert!

John Niven: Die F*ck-It-Liste.
Aus dem Englischen übersetzt von Stephan Glietsch.
Heyne Hard Core, April 2022.
320 Seiten, Taschenbuch, 12,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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