Jodi Picoult: Kleine große Schritte

Wieder einmal ist es Jodi Picoult gelungen, aus einem allgegenwärtigen Thema noch eine Nuance herauszukitzeln. Ruth ist Hebamme und sie ist schwarz. Sie ist die einzige Schwarze auf ihrer Station. Ihre Hautfarbe war schon ihr ganzes Leben lang ein Thema, denn sie wuchs unter Weißen auf. Weil ihre Mutter Nanny und Haushälterin bei einer reichen weißen Familie war, gelang es ihr in die privilegierte Schule Dalton aufgenommen zu werden und sie ging auch auf ein eher weißes College. Ihr war das gelungen, wovon so viele Träumen: ihre Hautfarbe hinter sich zu lassen. Einfach ein Mensch unter Menschen zu sein. Aber im Amerika der heutigen Zeit kann das nur ein Irrtum sein, wie sie feststellen muß, als der Rechtsradikale Turk ihr verweigert, sich um sein Baby zu kümmern, den nächsten, wie er selbst später vor Gericht sagen wird, „arischen Krieger“. Denn der kleine Davis stirbt und Turk gibt Ruth die Schuld daran.

„Kleine große Schritte“ hat unglaublich viele Facetten. Die wichtigste davon ist wohl die Wandlung der Anwältin Kennedy, die seit Jahren aus Überzeugung Pflichtverteidigerin ist, die immer wieder Schwarze als Klienten hat und die sich mit einem gewissen Recht für nicht rassistisch hält. Aber wie sie selbst am Ende erkennen muß, war sie blind. Nein, sie war keine Rechtsradikale wie Turk einer ist. Sie ist für die Gleichheit der Rassen, aber sie muß feststellen, dass sie trotzdem keine Ahnung hat, wie sich Ruths Leben anfühlt. Kennedy möchte die Rassismus aus der Gerichtsverhandlung heraushalten, weil das Gericht blind gegen die Hautfarbe sein muss und weil es um Mord geht, nicht um irgendetwas, das mit Rassismus zu tun hat. Aber Ruth ist nun einmal schwarz und das hat einen Einfluß in einer Welt, die von Weißen dominiert wird. Trotz allem guten Willens: Menschen in der Werbung sind überwiegend weiß, Menschen in Film und Fernsehen sind überwiegend weiß oder sie tun explizit schwarze Dinge. Die Hautfarbe ist ein Thema in dieser Welt und daran kommt auch das Gericht nicht vorbei.

Jodi Picoult sagt zu ihrem Buch selbst, dass sie nicht einfach das Leben einer Schwarzen darstellen wollte. Sie wollte, und das ist ihr gelungen, zu ihrer eigenen Rasse schreiben. Darstellen, wie die Hautfarbe immer noch das Leben bestimmt. Gleichberechtigung bedeutet nicht, dass Schwarze auch eine bestimmte Schule besuchen dürfen, Gleichberechtigung würde bedeuten, dass niemand darüber reden muss, wer diese Schule besucht. Es geht nicht darum, Schwarzen bestimmte Dinge zuzugestehen, es geht darum, dass überhaupt darüber geredet werden muss, ihnen irgendetwas zuzugestehen. Eigentlich sollten sie sich nämlich gar nicht unterscheiden.

Die Autorin kann das mit sehr viel mehr Worten sehr viel deutlicher ausdrücken und dabei noch eine spannende Geschichte erzählen. Lest einfach.

Jodi Picoult: Kleine große Schritte.
Bertelsmann Verlag, Oktober 2017.
592 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.