Jodi Picoult: Bis ans Ende der Geschichte, gelesen von Barbara Nüsse u.a.

jodiSage Singer ist erst fünfundzwanzig Jahre alt. Trotzdem trägt sie bereits eine ganze Menge mit sich herum. So viel, dass sie Menschen meidet, nachts als Bäckerin arbeitet und nur dann ausgeht, wenn sie zur Trauergruppe geht. Dort beginnt das Hörbuch sehr eindringlich mit der nicht unwichtigen Frage: Wie ernst oder unernst darf ich die Trauer anderer nehmen? Aber auch: Habe ich das Recht, anderen meine eigene Trauer aufzudrängen. Aber das ist nur der Einstieg. In der Gruppe lernt Sage Josef Weber und seinen Dackel kennen. Josef ist bereits über 90 Jahre alt und war sehr lange ein geachteter Deutschlehrer in der Stadt. Sehr viele Menschen kennen und schätzen ihn. Eines Tages bittet er Sage, ihn zu töten und beginnt, ihr seine Geschichte zu erzählen. Als 1933 die Nazis in Deutschland an die Macht kamen, war er ein mittelmäßiger Schüler, der dem Wahn sehr schnell verfiel. Zuletzt war er Lagerkommandant in Auschwitz. Und genau deswegen möchte er, dass Sage ihn tötet: Weil sie Jüdin ist, weil ihre Großmutter Auschwitz überlebt hat und weil er glaubt, nur so könne ihm seine Schuld vergeben werden. Aber Sage geht einen anderen Weg: Sie sucht und findet Leo, der in einer der letzten Abteilungen für die Suche nach Naziverbrechern arbeitet. Denn sie ist der Ansicht, dass Strafe Aufgabe des Staates ist.

Jodie Picoult erzählt die Gesichte auf mehreren Ebenen: Der Hauptstrang ist Sages Geschichte, ihr erzählt Josef seine Version seiner Vergangenheit, Sages Großmutter Minka erzählt ihre Version der Vergangenheit und eingeflochten ist eine Geschichte, die Minka während dieser Zeit geschrieben hat. In allen Geschichten geht es um Gewalt, Hilflosigkeit und Schuld, aber die Themen werden jeweils anders ausgeleuchtet. Gesprochen wird jede Geschichte von einem eigenen Sprecher und das ist auch gut so. So behält man immer den Überblick und es gibt dem Talent der Autorin Raum, innerhalb eines Romans mit mehreren Stimmen zu sprechen. Denn jede dieser Stimmen hat einen anderen Blick auf das geschehn und doch haben sie so viel gemeinsam.

Ihre Romane sind niemals einfach. Meistens nehmen sie sich eines schwierigen Themas an und beleuchten es aus einer noch nie da gewesenen Perspektive. So ist es ihr auch gelungen, dem wirklich lang und breit beschriebenen Thema Holocaust noch neue Facetten abzugewinnen und ganz neue Fragen zu stellen. Denn Sage hat zunächst mal Recht: Strafe IST in einer Demokratie Sache des Staates, aber es ist natürlich kein Zufall, dass Josef sich genau dem nicht unterwerfen will, Picoult-Romane wirken lange nach, selbst dann, wenn man glaubte, über das Thema jetzt wirklich nichts mehr lesen zu müssen (wie ich hier) oder noch nie Grund hatte, sich damit zu beschäftigen (wie ich z.B. bei „Beim Leben meiner Schwester“).

Jodi Picoult: Bis ans Ende der Geschichte, gelesen von Barbara Nüsse u.a..
Der Hörverlag, August 2015.
1 mp3-CD, 19,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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