Joachim B. Schmidt: Kalmann

Die Handlung spielt auf der Halbinsel Melrakkasletta im Nordosten Islands. Dort leben in dem kleinen Ort Raufarhöfn gerade einmal um die 170 Menschen. Einer davon ist Kalmann, ein etwas zurückgebliebener junger Mann Anfang dreißig. Wie einst sein Großvater ist auch Kalmann Jäger und Haifischfänger. Die Herstellung von Gammelhai und die Jagd auf Polarfüchse ist seine Lebenswelt in der er sich bewegt. Alles was er wissen muss, hat ihm der Großvater beigebracht, der nun im Pflegeheim wohnt. Mit einer jahrelang währenden Engelsgeduld machte dieser Großvater ganz selbstverständlich seinen Enkel Kalmann nach dem Motto learning by doing einigermaßen lebenstüchtig. Obwohl Kalmann schwer von Begriff ist, hat er auch ohne gut lesen oder richtig rechnen zu können gelernt, was Sache ist. Kein Grund zur Sorge, befand Großvater. Es gebe Wichtigeres im Leben als Zahlen und Buchstaben (eBook S. 39). Nur mit Stress kommt Kalmann nicht zurecht. Da kann es vorkommen, dass er seine körperlichen Kräfte nicht unter Kontrolle hat. Dennoch ist er ein gutmütiger Kerl und zudem der selbsternannte Sheriff des Dorfes. Wenn er sich aufmacht um Polarfüchse zu jagen oder mit dem Boot hinaus aufs Meer fährt um Haiköder auszulegen, heftet er seinen Sheriffstern an die Jacke, setzt seinen Cowboyhut auf und schnallt sich die vom Vater geerbte Waffe um. Alle Dorfbewohner akzeptieren Kalmann so wie er ist.

Als Kalmann auf dem Hügel hinterm Dorf, dem Arctic Hengge, auf eine große Blutlache stößt, ist es aus mit der Ruhe in Raufarhöfn, denn zur selben Zeit wird der Hotelbesitzer Róbert McKenzie vermisst. Nachdem ein abgetrennter Arm im Meer gefunden wird, ist man sich sicher, dass Róbert McKenzie einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist und die Kriminalpolizei übernimmt die Ermittlungen. Die Beamtin Birna entwickelt ein Vertrauensverhältnis zu Kalmann. Das ist gut so, denn immer wenn sich neue Erkenntnisse über den Vermissten ergeben, scheint ausgerechnet Kalmann darin verwickelt zu sein. Dann hat Kalmann das Glück, einen Hai zu fangen und die Raufarhöfener freuen sich mit ihm. Einige der Dorfbewohner sind am Hafen dabei, als der Hai an Land gezogen wird und Kalmann den Raubfisch anschließend zur Weiterverarbeitung aufschlitzt. Der Mageninhalt des Hais legt einen grausigen Fund offen. Mit einer weiteren Fundsache, die aus dem Meer geborgen wird, spitzt sich das Drama zu.

Eine abenteuerliche Erzählung in der das einfache, mit der Natur verbundene Leben durch einen Kriminalfall aufgewirbelt wird. Die Schilderung, die aus Kalmanns Sichtweise wiedergegeben wird, erfährt durch dessen eingeschränkte Denk- und Handlungsstruktur eine eigenwillige, manchmal fast skurrile Dynamik. Kalmann ist mit seiner gutmütigen Ehrlichkeit und seiner simplen Denkweise ein absoluter Sympathieträger, der beweist, dass es völlig normal sein und funktionieren kann, wenn behinderte Menschen wie er, ganz selbstverständlich inmitten der Gesellschaft leben und trotz aller Defizite akzeptiert sind.

Joachim B. Schmidt: Kalmann.
Diogenes, August 2020.
352 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.

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