Jo Walton: Die Stunde der Rotkehlchen

rot1941 markierte den Umschwung im zweiten Vaterländischen Krieg. Sir James Thirkie handelte mit Hitler für Großbritannien einen ehrenhaften Frieden aus, der Kontinent ging an die Deutschen, die Engländer zogen sich endgültig auf ihre Insel zurück. Juden wurden dort fürderhin geduldet, dabei aber fortwährend, zwar eher passiv aber deutlich, ausgegrenzt und mit Ressentiments bedacht.

Acht Jahre nach den erfolgreichen Verhandlungen findet man eines Morgens Thirkies Leichnam mit einem Messer in der Brust auf dem Landsitz der einflussreichen Dynastie der Farthings auf.
Der zum Tatort geeilte Detectiv von Scotland Yard, Inspector Carmichael entdeckt nicht nur einen gelben Davidstern, wie ihn die Juden auf dem Kontinent zu tragen gezwungen sind, sondern auch, dass der Ermordete nicht etwa, wie zu vermuten wäre erdolcht, sondern erdrosselt wurde. Hauptverdächtiger ist naturgemäss der unerwünschte jüdische Schwiegersohn der Farthings. Doch auch so manch Anderer hatte ein Motiv, den Helden zu meucheln. Die Aufklärung des Verbrechens führt Carmichael an seine Grenzen und darüber hinaus …

Die zwischenzeitlich in Kanada lebende Waliserin Jo Walton gehört hierzulande, trotz mannigfaltiger Auszeichnungen (ihr ebenfalls bei Golkonda erschienener Roman „In einer anderen Welt“ wurde mit dem Hugo, dem Nebula Award und dem Kurd Laßwitz Preis ausgezeichnet) zu den noch relativ unbekannten Stimmen der modernen phantastischen Literatur.

Mit dem vorliegenden Band beginnt der Golkonda Verlag mit der Publikation der bislang dreibändigen Reihe um Inspektor Carmichael.
Und, wie nicht anders zu erwarten, besticht die Autorin mit einer geradezu minutiösen Charakterisierung ihrer Figuren.

Mit einem scharfen Blick gerade für die Eigenheiten der Stände, die Animositäten und unterschwelligen Diskriminierungen präsentiert sie uns ein Sittengemälde, der besonderen Art. Eingebettet hat sie dieses in eine Alternativwelt, in der Hitler, nach einem separaten Frieden mit Britannien über Europa herrscht und die snobistischen britischen Adeligen in ihrer Arroganz erstarrt scheinen.
Dazu gesellt sich mit der Suche nach Motiv und Täter, ein veritabler Kriminalplot, der mittels den Abgründen, die offenbar werden, für Spannung sorgt.

Dass Walton eine Autorin der leisen Worte ist, sei angemerkt. Wer grelle Noir-Bilder gewohnt ist, wird hier eher enttäuscht werden. Statt dessen präsentiert sie uns in Sätzen, in denen jedes Wort sitzt und Bedeutung hat einen herrlich intelligenten Krimi, der mich zumindest an die Seiten fesselte.

Jo Walton: Die Stunde der Rotkehlchen.
Golkonda Verlag, November 2014.
286 Seiten, Taschenbuch, 16,90 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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