Jhumpa Lahiri: Wo ich mich finde

Die US-amerikanische Schriftstellerin Jhumpa Lahiri (Jahrgang 1967) ist indischer Abstammung, wurde in London geboren und schreibt auf Italienisch. Für ihre Kurzgeschichten „Melancholie der Ankunft“ erhielt sie  im Jahre 2000 den Pulitzer-Preis. Am 19. Mai 2020 ist ihr neuer Roman „Wo ich mich finde“ bei Rowohlt in einer Übersetzung von Margit Knapp erschienen.

Darin erzählt Jhumpa Lahiri vom alltäglichen Leben einer ungefähr vierzig jährigen Italienerin, die an einer Universität arbeitet. Die Hauptfigur bleibt namenlos. Ihre Tage verbringt sie mit Arbeit, Spaziergängen, Schwimmen, Theaterbesuchen und kleineren Reisen aufs Land oder ans Meer. An zwei Sonntagen im Monat besucht sie ihre alte Mutter in einem Pflegeheim in einer anderen Stadt. Ihr Vater ist tot. Zu dem Mann ihrer besten Freundin hegt sie mehr als freundschaftliche Gefühle, lebt sie aber nicht aus. Ihr Leben ist eintönig. Eine Abfolge von immer dem gleichen Trott: im Büro, in der Trattoria, im Schreibwarengeschäft. Dabei beobachtet sie ihre Umgebung und ihre Mitmenschen genau. Ab und zu trifft sie Freunde. Es vergehen die Tage, die Wochen, die Monate, die Jahreszeiten. Und so heißen auch die Überschriften, die Jhumpa Lahiri den einzelnen Kapiteln ihrer Geschichte gegeben hat: im Büro, im Schwimmbad, bei mir zu Hause, im Winter oder am Bahnhof.

Ihre Protagonistin ist nicht froh, sie hängt in ihrem Leben fest, das ihr nicht gefällt. Aber Veränderungen, jenseits von wechselnden Menüs in der Trattoria, sind ihre Sache nicht. Sie scheint ängstlich, unsicher, aber die Lesenden erfahren nicht, warum. Bis sie sich eines Tages, während sie den Hund ihrer besten Freundin ausführt, das Verliebtsein in deren Mann aus dem Kopf schlägt. Und eine Entscheidung trifft.

Jhumpa Lahiris „Wo ich mich finde“ gibt mir Rätsel auf. Es ist gut geschrieben, keine Frage. In einer präzisen, einfühlsamen und warmen Sprache. Aber Lahiris Hauptfigur, diese arme Frau, läßt bei mir als Lesende keine Sympathie aufkommen. Sie ist mir zu nörglerisch, zu grundlos unzufrieden und zu antriebsarm, ohne dass ich es verstehe oder gar nachvollziehen kann. Trotz zweimaligen Lesens des Buches entgeht mir der Wendepunkt in der Geschichte. Was bewegt sie plötzlich zu einer Veränderung ihres Lebens? Das Ende ihrer hoffnungslosen Verliebtheit in den Mann ihrer besten Freundin oder ein Ausflug ans Meer, wie es im Klappentext heißt?

Fast am Ende des Buches schreibt Jhumpa Lahiri: „Dermaßen außer Gefecht gesetzt, betrachte ich mich im Spiegel, mit den steifen, mit Kleber vollgeklecksten Fingern, darunter auch noch der Staub, den ich nicht loswurde. Und es geschieht etwas, das lange Zeit nicht geschehen ist – vielleicht ist es sogar überhaupt das erste Mal: Ich breche in schallendes Gelächter aus.“ (S. 142/143)

Das ist die einzige Stelle im Buch, an der mir die Protagonistin nahe ist. An der ich ihre Stimmung nachempfinden kann.

„Wo ich mich finde“ ist am ehesten (wie es im vorletzten Kapitel heißt) nirgendwo. Und das ist das große Manko an Jhumpa Lahiris Geschichte.

Jhumpa Lahiri: Wo ich mich finde.
Rowohlt, Mai 2020.
160 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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