Jérôme Loubry: Der Erlkönig

Dieser Krimi ist so verwunden, so verschachtelt, dass wohl niemand imstande ist, das Ende vorauszuahnen. Leider hat mir jedoch der ungelenke Schreibstil die Freude an der Lektüre verdorben.

Die Journalistin Sandrine soll den Hausstand ihrer verstorbenen Großmutter auflösen. Sie hat ihre Großmutter nie kennengelernt, die immer auf einer Insel lebte. Diese Insel war für andere Menschen tabu und sie selbst durfte sie nie verlassen. Als Sandrine auf der Insel ankommt, begegnen ihr mehrere alte Leute, die ihre Großmutter kannten und schätzten.

Ihre Großmutter Suzanne war 1949 auf die Insel gekommen als Betreuerin für eine Gruppe Kinder, die hier die traumatischen Kriegserlebnisse verarbeiten sollten.

Einige Tage nach ihrer Ankunft auf der Insel wird Sandrine blutverschmiert am Strand des Festlandes gefunden, ohne Erinnerung, immer wieder vom Erlkönig erzählend, der die Kinder hole. Kommissar Damien Bouchard wird mit dem Fall betraut. Er hat selbst mit einem Schicksalsschlag zu kämpfen, denn vor Jahren verschwand seine eigene Tochter spurlos.

Die Art, wie der Autor die Story aufbaut, ist sehr verwirrend, immer wieder wechseln Perspektive und Zeit der Handlung. Mal ist man an Sandrines Seite im Jahr 1986, mal im Jahr 1949, wo man die Geschehnisse aus der Sicht von Suzanne, ihrer Großmutter, erlebt. Dabei beginnt der Roman noch mit zwei weiteren Erzählebenen, so dass man als Leserin schon sehr konzentriert sein muss.

Mehr über den Inhalt darf man in der Rezension nicht verraten, um nicht zu spoilern. Der Plot ist wirklich gut konstruiert, wenn auch manchmal die beabsichtigen Schreckszenen etwas sehr aufgesetzt wirken. Der Schreibstil jedoch ist es, der mir diesen Roman verleidet. Die Sprache ist wenig einfallsreich, die Distanz zu den Figuren zu groß, um deren Emotionen auf die Leserin zu übertragen. Ich habe weder mitgefiebert noch mich mit-gefürchtet. Die Versuche des Autors, statt des Namens der Protagonisten immer wieder andere Formulierungen zu verwenden, gehen sehr schnell auf die Nerven. Wenn die Hauptfigur wiederholt als „die junge Frau“ oder „die Journalistin“ betitelt wird statt sie beim Namen zu nennen, kann keine Beziehung zwischen ihr und den Leser:innen entstehen.  Manchmal ist weniger eben doch mehr, Namen oder wahlweise das Personalpronomen rücken die Lesenden viel näher an die Protagonisten als jede distanzierte Bezeichnung. Auch der Spannungsaufbau lässt zu wünschen übrig, man ahnt oft voraus, was als nächstes geschehen wird. Hinzu kommen die nur wenig ausgearbeiteten Charaktere, die zu schematisch agieren.

Mein Fazit: Eine interessante Plot-Idee, die jedoch nicht über den schlechten Stil hinwegtröstet.

Jérôme Loubry: Der Erlkönig.
Ullstein, März 2021.
400 Seiten, Taschenbuch, 10,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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