Janet Lewis: Die Frau, die liebte (1941)

1539 in Artigues, einem Dorf in der Gascogne im Süden Frankreichs: Die 11jährige Bertrande de Rols wird mit dem gleichaltrigen Martin Guerre verheiratet. Unter den reichen, altehrwürdigen, feudalen Großbauern dieser Gegend ist das zu dieser Zeit nichts Besonderes.

Noch in der Hochzeitsnacht muss sich Bertrande gefallen lassen, dass ihr junger Ehemann sie ohrfeigt, ihr Gesicht zerkratzt und an ihren Haaren zieht. Er nutzt die Macht, die ihm die neue Stellung verleiht. Darin ist er seinem Vater sehr ähnlich, der hart und stolz den Hof führt. Sein Wort gilt, niemand hat zu widersprechen. Das muss auch Martin lernen, dem er einmal zwei Zähne ausschlägt, weil er ohne sich abzumelden einen Tag bei der Bärenjagt verbracht und seine Aufgaben vernachlässigt hat. Doch Bertrande ist in dieser archaischen Gesellschaft am Rande der Pyrenäen aufgewachsen und in den Traditionen verhaftet. Sie stört sich nicht daran, ihrem Schwiegervater oder ihrem Mann zu gehorchen. Ihre Aufgaben erfüllt sie zuverlässig, ihre Pflichten selbstverständlich.

Mit den Jahren wächst in ihr eine große Liebe zu Martin, der sich immer wieder, fast rebellisch, gegen seinen Vater stellt. Als beide zwanzig Jahre alt und junge Eltern sind, stiehlt er seinem Vater Weizen und sät ihn auf einem von ihm bewirtschafteten Acker aus. Weil er weiß, dass das seinen Vater zornig machen wird, will er untertauchen, bis dieser sich beruhigt hat. Was zunächst nur einige Wochen dauern soll, wird zu Jahren. Martins Mutter und sein Vater sterben, der Onkel übernimmt den Hof. Die Türen für Martin stehen wieder offen, er muss keine Strafe mehr befürchten.

Bertrande vermisst ihn, sehnt sich nach ihm und als sie sich – nach acht Jahren – gerade damit abgefunden zu haben scheint, dass sie ihn nicht wiedersieht, kommt ein Mann in den Ort, der als Martin erkannt wird.

Bertrande scheint es, als ob ein fremder Geist sich in Martins Körper eingerichtet hat. Er sieht sich noch ähnlich, doch er verhält sich anders als früher, ist freundlich, offen, klug, kümmert sich um den Sohn, hat für die Bediensteten freundlich Worte. Alle mögen ihn, das Leben im Haus blüht auf und da er Dinge weiß, die nur Martin wissen kann, ist sich das ganze Dorf sicher, dass der Hofherr wirklich zurückgekehrt ist. Nur Bertrande zweifelt, ist hin- und hergerissen, kommt schließlich zur Überzeugung, dass dies nicht ihr Ehemann sein kann und stellt sich mit dieser Meinung gegen die anderen.

Die Situation eskaliert, als sich auch Martins Onkel Pierre auf Bertrandes Seite schlägt. Der Fall wird vor Gericht verhandelt werden und kein gutes Ende nehmen.

Oft nüchtern, manchmal fast dokumentarisch, erzählt Janet Lewis diese Geschichte einer großen Liebe. Sie schreibt über Sehnsucht, Leidenschaft, Loyalität, über Mut, Konsequenz und tiefe Verunsicherung. Dabei kommt man Bertrande und den anderen Figuren nur selten emotional nahe. Es bleibt eine Distanz, die manchmal verstörend wirkt. Doch gerade dadurch entfaltet der Roman eine große Wucht, die mitreißt, mitnimmt und für mich Fragen aufwirft, deren Antworten Janet Lewis in ihrem Text offen lässt: Gibt es eine Wahrheit oder mehrere? Ist eine Lüge oder der Glaube an eine Lüge gerechtfertigt, wenn sie Gutes bewirkt? Kann man Gefühlen trauen, auch wenn alle Indizien dagegen sprechen? Was tun, wenn Schuld nicht eindeutig ist? Was ist überhaupt „Schuld“?

Das Buch erschien 1941 unter dem Titel „The Wife of Martin Guerre“ auf Englisch. Im März diesen Jahres wurde es erstmals auf Deutsch veröffentlicht.

Janet Lewis verarbeitet darin einen der bekanntesten Strafrechtsfälle der französischen Geschichte, den sie in einem Buch entdeckte, das sie von ihrem Mann, dem Literaturkritiker und Stanford-Professor Yvor Winters, geschenkt bekam.

Der Stoff wurde mehrfach verfilmt, zum Beispiel mit Gérard Depardieu in „Die Wiederkehr des Martin Guerre“ oder in „Sommersby“ mit Jodie Foster und Richard Gere.

Janet Lewis: Die Frau, die liebte.
rororo, Januar 2018.
136 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.

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