Jane Gardam: Die Leute von Privilege Hill

Die britische Schriftstellerin Jane Gardam (Jahrgang 1928) wurde hierzulande durch die „Old Filth“-Trilogie über Richter Edward Feathers („Ein untadeliger Mann“, 2015), seine Frau Elisabeth („Eine treue Frau“, 2016) und seinen Nachbarn und Kontrahenten Terry Veneering („Letzte Freunde“, 2016) bekannt. In ihrer Heimat ist sie eine berühmte und vielfach ausgezeichnete Autorin.

Mit „Die Leute von Privilege Hill“ veröffentlichte Hanser Berlin am 25. September 2017 nun einen Band mit 16 Erzählungen in einer Übersetzung von Isabel Bogdan. Die ausgewählten Geschichten stammen aus der englischen Originalausgabe mit dem Titel „The Stories“, die schon 2014 erschienen ist.

Da begegnet Hetty ihrem ehemaligen Liebhaber, dem berühmten Maler Heneker Mann, im Urlaub mit ihrer Familie am Strand und erlebt verwirrende Tage bis ihr Ehemann nachgereist kommt.

Mrs. Thessally sorgt sich um ihre erwachsene Tochter Rosalind, die schwer an Liebeskummer leidet, und macht einen ungewöhnlichen Schritt.

In „Die geheimen Briefe“ steht die Schriftstellerin Annie vor der Entscheidung, eine sensationelle Entdeckung über Jane Austen öffentlich zu machen.

Veronica begleitet ihren Ehemann auf eine Geschäftsreise nach Hongkong und begibt sich jenseits touristischer Pfade auf Entdeckung von Stadt und Menschen.

Marjorie Partridge hingegen wird mit dem Selbstmord ihrer Tochter Olivia, dem ganzen Stolz ihrer Eltern, konfrontiert.

„Die Rettung“ erzählt die Geschichte einer wechselseitigen (Lebens-) Rettung eines verstummten, chinesischen Jungen, Henry Wu, und eines Schwans.

In „Telegonie“ finden sich drei Episoden aus dem Leben einer britischen Familie und eines italienischen Fotografen, der in den Midlands ein Fotostudio eröffnet.

Und zum Abschluss in der Titelgeschichte „Die Leute von Privilege Hill“ gibt es ein Wiedersehen mit Edward Feathers aus der „Old Filth“- Trilogie. Herrlich!

Jane Gardams Erzählungen sind köstlich mit ihren Hinweisen auf die Hochzeiten des Britischen Empire und auf den Dünkel und die Arroganz der privilegierten Leute, die sich noch immer im Glanz einer vergangenen Epoche sonnen. Besonders  anschaulich wird das in der Erzählung „Die letzte Ehre“, in der das ehemalige Kindermädchen Dench stirbt und ihre einstigen Arbeitgeberinnen sich treffen und sich an die Zeit mit ihr erinnern: „Oh, und dass sie kein Geld hatte – davon abgesehen hatte sie ein ganz schönes Leben, würde ich sagen. Ob sie überhaupt rentenversichert war? Ich habe nie etwas für sie eingezahlt, ihr etwa?“ (Seite 109). Wie fein gezeichnet und außerordentlich lebendig treten ihre Figuren auf. Ihre Charaktere finden den direkten Weg in den Kopf und ins Herz des Lesenden, obwohl sie nicht immer sehr sympathisch und häufig rückwärtsgewandt sind.

Gardams Dialoge sind eine Wucht, entlarven sie doch ganz nebenbei Glaubenssätze, Lügen und Vorurteile der „besseren, feinen“ Gesellschaft.

Sie schafft den Einklang zwischen Zeit, Figuren und Handlung, ihre Erzählungen sind meisterlich und „very british“. Sofort schlagen sie mich als Lesende in ihren Bann. Es gibt fulminante Auftakte („Veronica roch den Schweinelaster schon, bevor sie ihn sah, und in diesem Geruch lag alles, was sie an Hongkong verabscheute und hasste.“) und humorvolle Enden („Was sind die Dixiemädchen?“ „Keine Ahnung. Eine Tanzkombo oder so. Nichts, wovon man schon mal gehört hat.“) oder tieftraurige („Die Hügel flogen unter ihr dahin, sie floh wie Julia in ihr Grab, und ihr Herz rief sehnsüchtig: »Clancy, Clancy, Clancy.«“). Jane Gardam findet bis in die Nebensätze den richtigen Ton, sie ist präzise, nie laut und doch stets überraschend. Gibt jeder Geschichte noch eine Wende oder ein Ende, das unerwartet ist.

Jane Gardam ist in Deutschland spät (wieder-) entdeckt worden. Besser spät als nie, kann ich nur sagen, denn sonst hätten wir richtig gute Literatur verpasst.

Jane Gardam: Die Leute von Privilege Hill.
Hanser, September 2017.
352 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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