Isabel Allende: Dieser weite Weg

Über Isabel Allende (Jahrgang 1942) braucht es nicht viele Worte. Die weltberühmte chilenische Schriftstellerin gehört zu den großen lateinamerikanischen Erzählern der Gegenwart. Sie feierte in diesem August ihren 75. Geburtstag. Ihr grandioses Erstlingswerk „Das Geisterhaus“ wurde zum Weltbestseller und mit Jeremy Irons und Meryl Streep in den Hauptrollen vom dänischen Regisseur Bille August 1993 verfilmt. Es folgten zahlreiche weitere Bücher wie „Paula“ (1995) oder zuletzt „Ein unvergänglicher Sommer“ (2018). Der Suhrkamp Verlag veröffentlichte am 27. Juli 2019 ihren neuesten Roman mit dem Titel „Dieser weite Weg“ in einer Übersetzung von Svenja Becker.

Darin die Geschichte des Katalanen Victor Dalmau und seiner Schwägerin Roser Bruguera, die vor dem Bürgerkrieg in Spanien und vor General Francisco Franco 1939 nach Südfrankreich fliehen. Dort besteigen sie einen ehemaligen Frachter, die „Winnipeg“, für den Pablo Neruda, der chilenische Dichter, Geld sammelte und ihn für die Passagiere ausstattete, um spanische Exilanten nach Chile zu bringen. Victor, ältester Sohn des Musikprofessors Marcel Lluis und der Lehrerin Carme Dalmau, studiert Medizin und geht als Sanitäter in den Krieg. Auch sein Bruder Guillem, kämpft gegen das Militär auf Seiten der Republikaner. Roser, eine sehr begabte Pianistin, wird Gast im Hause der Dalmaus. Guillem und Roser verlieben sich ineinander und verloben sich. Nach einem Herzinfarkt stirbt Professor Dalmau und Guillem kommt bei einem Bombenangriff ums Leben. Die hochschwangere Roser macht sich mit Victors Mutter Carme und mit Hilfe von Aitor Ibarra, einem guten Freund von Victor, auf den beschwerlichen Weg nach Frankreich. Unterwegs geht Carme verloren. Roser bekommt einen Jungen, den sie Marcel nennt. Auch Victor entkommt nach Südfrankreich. Er findet Roser und gesteht ihr, dass Guillem tot ist. Sie können Tickets für die Überfahrt auf der „Winnipeg“ nach Chile von Pablo Neruda ergattern, müssen aber vorher heiraten. Sie landen in Valparaíso an dem Tag, als England und Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg erklärten. Im Zug nach Santiago lernen Victor und Roser Felipe del Solar kennen, der sie zu sich in Haus einlädt. Roser kann als Pianistin Fuß fassen. Victor hingegen muss sein Medizin-Studium wieder aufnehmen und arbeitet nachts als Kellner in einer Bar. Victor beginnt eine Affäre mit Ofelia del Solar, Felipes Schwester. Roser, Victor und Marcel finden in Chile eine neue Heimat und sogar Carme Dalmau in Spanien wieder. Bis sie der Sturz Salvador Allendes wieder ins Exil zwingt. Sie gehen nach Venezuela. Irgendwann treffen sich Ofelia und Victor wieder. Und am Ende bekommt Victor einen überraschenden Besuch.

Da ist es wieder: dieses prallgefüllte Erzählen, für das Isabel Allende berühmt ist. Und das ich als Lesende seit dem „Geisterhaus“ so liebe. Allende erzählt eine Familiengeschichte, die mit historischen Fakten und literarischer Fiktion gefüllt ist. Die „Winnipeg“ gab es wirklich, aber die Familie Dalmau ist eine Erfindung. Eingebettet zwischen dem Spanischen Bürgerkrieg und dem Militärputsch in Chile schreibt Isabel Allende die Geschichte einer Familie, die ihre Heimat zweimal verliert. Allendes Charaktere gehen im wahrsten Sinne des Wortes einen weiten Weg durch Krieg, Flucht und Exil. Das prägt ihr Leben. Und die Liebe: die Liebe zur Heimat, zur Familie, zum Partner. Mit Roser beschreibt Isabel Allende wieder eine starke Frau. Eine Frau, die Kraft für zwei benötigt oder gar für drei. Roser meistert die Neuanfänge in der Fremde, ihr Schwager und Mann Victor dagegen hadert mit dem Leben. Nahtlos fügt Allende wahre Personen wie den berühmten chilenischen Dichter Pablo Neruda und ihren Onkel und chilenischen Präsidenten Salvador Allende zu den fiktiven Personen in die Zeitgeschichte der Jahre 1938 bis 1994.

Und dazu kommt ihr unverwechselbares Erzähltemperament, dieser einmalige Isabel-Allende-Sound:

„,Ich fühle mich aber nicht gut, Isidro, ich…´

‚Reißen Sie sich zusammen. Für mich ist das ein Geschäftsessen. Wir dinieren mit Senator Trueba und zwei englischen Geschäftsleuten, die Interesse an meiner Wolle bekundet haben. Ich erwähnte das, Sie erinnern sich? Ein Angebot von dieser Hamburger Fabrik für Armeeuniformen habe ich bereits, aber mit den Deutschen einig zu werden ist mühsam.‘

‚Ich glaube kaum, dass die Frau von Senator Trueba da sein wird.‘
‚Seine Frau ist überaus wunderlich, angeblich spricht sie mit den Toten.‘
‚Jeder spricht hin und wieder mit den Toten, Isidro.‘
‚Aber was reden Sie denn, Laurita!‘
‚Das Kleid passt mir nicht.‘“ (S. 95)

Isabel Allende hat Humor (die Truebas sind die Protagonisten aus dem „Geisterhaus“), denn allzu oft hat man ihre Bücher an ihrem Debüt-Roman „Das Geisterhaus“ gemessen und für zu leicht befunden.

Tatsächlich hätte der Stoff von „Dieser weite Weg“ für einen noch breiter erzählten Roman gereicht. Aber das ist auch das einzige Manko an dieser Geschichte von Isabel Allende, die viel zu schnell zu Ende gelesen ist.

Isabel Allende: Dieser weite Weg.
Suhrkamp Verlag, Juli 2019.
381 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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