Ingrid Noll: Kein Feuer kann brennen so heiß

Köstlicher schwarzer Humor und Männer, deren forciertes Ableben nonchalant, fast schon beiläufig erfolgt: Seit nunmehr 30 Jahren ist dies das unschlagbare Erfolgsrezept der Bestsellerautorin Ingrid Noll. Auch in diesem Roman geht die Rechnung voll und ganz auf. Zwei Frauenfiguren, die eher auf der Schattenseite des Lebens stehen, wachsen im Plot über sich selbst hinaus. Wehe, wenn die Alten, Hässlichen, Ungeliebten oder anderweitig zu kurz Gekommenen losgelassen werden!  Herrliche Dialoge, schrullige Charaktere und das „vermeintlich“ starke Geschlecht, dass sich permanent selbst bloßstellt. In „Kein Feuer kann brennen so heiß“, zeigen Nolls Protagonistinnen, dass sie ihrem Gegenüber bei Bedarf ordentlich einheizen können. Wenn Leidenschaft nur noch Leiden schafft, ist mit diesen Frauen nicht zu spaßen.

Im Mittelpunkt steht die 30-jährige Lorina, die im Leben zu kurz gekommen ist. Das Aussehen eines „Plumploris“, dazu noch Tollpatschigkeit und ihr wohl größter Fehler – kein ersehnter Stammhalter geworden zu sein – haben ihr von Kindheit an den Ruf des hoffnungslosen Mauerblümchens eingebracht. Mit Dreißig noch Jungfrau, stützt sich Lorina in ihren Beruf als Altenpflegerin, in dem sie endlich Erfüllung findet. Denn den Alten, Behinderten, Vergessenen ist ihr Äußeres samt mangelnder Grazie egal. Mit ihrer neuen Stelle in der noblen Villa von Frau Alsfelder hat sie das große Los gezogen. Die Arbeitsbedingungen sind angenehm luxuriös, zudem scheint die einsame Alte sie nicht nur als bloße Pflegekraft, sondern auch als Gesellschafterin zu schätzen. Frau Alsfelder schwimmt zwar in Geld, doch nach einem Schlaganfall wurde sie von ihrem Mann verlassen und ist als halbseitig Gelähmte nicht nur auf die Hilfe der Pflegerin angewiesen, sondern auch auf die Unterstützung ihres großspurigen Neffen Christian, der ihre Finanzen regelt. Wohl nicht ganz uneigennützig …

Schon bald nach Lorinas Antritt verlieren beide Damen ihr Herz. Frau Alsfelder ist hin und weg von ihrer neuen Pudeldame „Europa“, Lorina von dem singenden Masseur Boris. An ihn verliert sie endlich ihre Jungfräulichkeit! Doch das Idyll trügt. Boris entpuppt sich als manipulativer Hallodri, der Neffe als Erbschleicher erster Güte und zu allem Überfluss lässt Lorinas Schwester Carola ihr Neugeborenes mit „kleinem Schönheitsfehler“ einfach bei Lorina zurück. Hundesitter, Ersatzmama, Femme Fatale – binnen kürzester Zeit lernt Lorina ganz neue Seiten an sich kennen! Ausgestattet mit neuem Selbstbewusstsein sorgt Lorina wieder für geordnete Verhältnisse, notfalls mit etwas grenzwertigen Methoden.

Das wohltuende an Nolls Romanen: Hier muss kein traumatisiertes Nervenbündel zum Psychiater, nur weil Frau versehentlich oder absichtlich einen Mann unter die Erde gebracht hat. Leichen pflastern ihren Weg – na und? Shit happens! Das Leben geht weiter. Wie abgeklärt und frohgemut Nolls mörderische Damen ihren Alltag danach bestreiten und sich zusehends „warmlaufen“, ist eine amüsante Abwechslung zur gängigen Krimiliteratur. Ganz genau skizziert die Autorin an kleinen Details die Feinheiten ihre Charaktere, ihre Hoffnungen und Transformationen. Ein amüsantes Paradebeispiel bietet der unerfahrene Masseur Ruben. Er kann besser Balladen zitieren, als kräftig Hand anlegen. Sein eigentliches Studium bekommt er dank seiner Testophobie (Prüfungsangst), Glossophobie (Angst, vor anderen zu sprechen) und Decidophobie (Angst, Entscheidungen zu treffen) einfach nicht auf die Reihe. Wie Noll immer wieder diese kleinen Marotten in den Plot einfließen lässt, hat einfach große Klasse. Auch die betuchte Frau Alsfelder wird mit jedem neuen Hausgast immer offener, herzlicher, lebensfroher– aber nicht minder resolut.

Die eigene Lebenserfahrung mag Ingrid Noll zu Gute kommen. Stolze 85 Jahre zählt die Erfolgsautorin mittlerweile und wird des Schreibens nicht müde. Ihre Mutter hat die in Shanghai geborene Arzttochter bis zu deren Tod im Alter von 106 Jahren selbst betreut, neben der Erziehung ihrer drei Kinder, ihrem Beruf und den ersten Schreibausflügen. Sprich: Noll braucht wahrlich niemand zu erzählen, was eine wahre Powerfrau ausmacht!

Fazit: So federleicht und lässig bringt niemand fragwürdige Figuren unter die Erde. Ingrid Nolls Kriminalliteratur ist einfach ein Riesenspaß! Ein Hoch für die Autorin, die maßgeblich zur „Emanzipation“ des deutschsprachigen Crime-Genres beigetragen hat.

Ingrid Noll: Kein Feuer kann brennen so heiß.
Diogenes, Februar 2021.
304 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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