Henry James: Die Kostbarkeiten von Poynton (1897)

Die distinguierte Mrs. Gereth liebt Kunst und erlesene Schönheit. Ihren Landsitz „Poynton Park“ hat sie mit seltenen Kostbarkeiten aus ganz Europa geadelt. Leider geht der Besitz an ihren Sohn Owen über, der kein Auge für Kunst hat, aber dafür Gefallen an der stillosen, aufgedonnerten Mona Brigstock gefunden hat. Undenkbar, den beiden ihr Lebenswerk zu überlassen! Zum Glück hat Mrs. Gereth in der klugen Fleda Vetch eine Komplizin gefunden, die sich als würdige Schwiegertochter erweisen könnte. Mögen die Spiele – mit all ihren Intrigen – beginnen!

Henry James zeigt sich als Meister der subtilen, doppelbödigen Gesellschaftsdramen, die mit vielen Wendungen und ironischen Dialogen aufwarten. Seine Charaktere und ihre Beweggründe sind zunächst nicht leicht zu durchschauen, was einen eigenen Reiz ausmacht. Zwischen dem, was sie fühlen und denken und dem, wie sie sich nach außen zeigen und handeln, liegen oft Welten. Kein Wunder, sind sie doch den Zwängen ihrer Zeit unterworfen. Mrs Gereth verkörpert den tragischen Typ der „entthronten, entrechteten Mutter.“ Nach dem englischen Gesetz geht das Haus mit seinen Besitztümern nach dem Tod ihres Mannes an ihren Sohn über. Sie, die ihr ganzes Leben damit verbracht hat, es zu verschönern, muss ihren Platz räumen für eine Schwiegertochter, welche all die Kostbarkeiten nicht zu würdigen weiß. Die nahezu mittellose Fleda Vetch wiederum hat lediglich ihre hohe Moral als Wert anzupreisen. Darum scheut sie davor zurück, die Rolle der Ehebrecherin einzunehmen und einen Mann mit beschädigtem Ruf zu wählen, selbst wenn er das Versprechen gegenüber seiner Verlobten aus Liebe zur Fleda auflösen würde.

Für einen männlichen Autor der damaligen Zeit ist es erstaunlich, dass alle handlungsrelevanten Figuren weiblich sind. Owen Gereth dient mehr oder weniger als Spielball zwischen den Fronten. Er wird als wenig intelligent, naiv, aber aufrichtig beschrieben. Ein denkbar geeigneter Spielball also. Und letztlich bleibt den Damen, denen Besitz und Wahlrecht zum ausgehenden 19. Jahrhundert noch versagt sind, gar nichts anderes übrig, als die „tonangebenden“ Männer wie Marionetten für ihre eigenen Interessen zu benutzen.

Herausragend ist der Stil von Henry James. Bereits die ersten Seiten sind ein wahrer Genuss für Freunde literarischer Lästereien. In welch erlesenen Phrasen der Autor Mrs. Gereth und Fleda über den fürchterlichen Geschmack der Gastgeber herziehen lässt! Wie „undefinierbare Einrichtungsgegenstände, bei denen es sich um Auszeichnungen für Blinde handeln könnte“, alles zeugt von ihrem „unfehlbaren Instinkt für Desaströses“. Die Kostbarkeiten von Poynton werden in luziden, wohlklingenden Worten gepriesen, bleiben aber wenig greifbar. Sie dienen als allgemeines Symbol für die Begierden der Menschen, für die sie bereit sind, über sich selbst hinauszuwachsen.

Abgerundet wird der Plot durch ein Nachwort von Alexander Cammann. Er setzt den 1896 geschriebenen Roman in einen autobiografischen Kontext. Welche konkrete Geschichte hat den Autor inspiriert? Warum ist das Buch eine Neu- und Weiterentwicklung seiner bisherigen Romane? Einige Fakten zu dem in New York geborenen Schriftsteller von Werken wie „Washington Square“ lassen das Gelesene in einem neuen Licht erscheinen.

Fazit: 264 Seiten voller meisterlicher Manipulationen, doppelzüngiger Dialoge, Wendungen und Blendungen. Ein literarisches Vergnügen ohnegleichen!

Henry James: Die Kostbarkeiten von Poynton (1897).
Manesse, Juni 2017.
288 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,95 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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