Henning Ahrens: Mitgift

Greta Derking war bis vor kurzem die Totenfrau eines kleinen niedersächsischen Dorfes. Sie wurde gerufen, wenn es galt, einen Verstorbenen herzurichten – zu frisieren, zu maniküren und zu kleiden, bevor er seinen letzten Weg antritt. Nun im Alter fühlt sie sich dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen. Als ihr Nachbar, der einflussreiche Bauer Wilhelm Leeb, vor ihrer Tür steht und sie um ihre Dienste bittet, will sie zunächst ablehnen. Leeb, der sie vor vielen Jahren geheiratet hätte, wenn sie eine Mitgift in die Ehe hätte einbringen können. Als sie erfährt, wer der Tote ist, erklärt sie sich schließlich bereit.

Henning Ahrens erzählt die Geschichte der Familie Leeb über mehrere Generationen, Episoden aus vergangenen Jahrhunderten, detaillierte Schilderungen aus den letzten Jahrzehnten und kehrt immer wieder zurück zu jenem Augusttag im Jahre 1962, an dem Wilhelm Leeb an die Tür von Greta Derking klopft.

Die Leebs hatten sich im Laufe der Jahrhunderte einen kleinen Wohlstand erarbeitet, sie haben allen Widrigkeiten getrotzt. Es galt, das Familienerbe zu wahren, dafür war kein Opfer zu groß. Ahrens schreibt von Traditionen und Verpflichtungen. Über allem Geschehen liegt ein Schatten von Unbehagen, von stetiger Unzufriedenheit. Es wird selten gelacht.

Wilhelm Leeb war als überzeugter Nationalsozialist im Krieg im Osten, später mehrere Jahre in Kriegsgefangenschaft.  Nach seiner Rückkehr findet er kein Wort der Anerkennung gegenüber Frau und Sohn, die geschuftet haben, um den Hof am Laufen zu halten. Stattdessen hagelt es Vorwürfe. Später ist das Leben geprägt von Streit, von Aufbegehren und Kleinbeigeben. Der Roman erzählt von den Anstrengungen, das tägliche Leben zu meistern.

Der Titel ist Programm. Die Mitgift der Frauen war ein wichtiges Element zur Erhaltung des Wohlstandes. Andererseits sind die Hinterlassenschaften der Väter auch ein Erbe, welches nicht immer leicht zu tragen war und zu tiefen Verwundungen geführt hat.

Das Vorbild für den Roman fand der Autor in seiner eigenen Familie. Aus Erzählungen beim sonntäglichen Kaffeetrinken, Tagebucheinträgen, Briefen und gründlicher Recherche entstand ein eindrucksvolles Bild des dörflichen Lebens.

Henning Ahrens: Mitgift.
Klett-Cotta, August 2021.
352 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.

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