Helen Endemann: Todesstreifen

Die Grenzmauer zwischen Ost- und West-Berlin wirkt auf Marc eher wie die Wand eines Gefängnisses. Er muss da raus, weg von den Bestrafungen und den ständigen Kontrollen. Er will auch keine Tabletten einnehmen, die die Sportschule ihm vorschreibt.

Marcs Auflehnung kritisiert indirekt das sozialistische System der DDR, in dem jeder stumm jede Regel befolgt. Mal freiwillig, mal unter Zwang. Natürlich wissen alle, dass es mit Marc nicht gut enden wird. Niemals.

„… Wer diskutiert, ist ein Schädling.“ (S. 51) sagen die Lehrer.

Weil Marc trotzdem nicht den Mund halten kann, droht ihm der Aufenthalt in einem Kinderheim, das genaugenommen ein Gefängnis für Kinder ist.

Der Besuch einer Westberliner Sportschule zu einem Sportfest in Ost-Berlin verleitet Marc zu einem Fluchtversuch in den Westen. Ben, einer der westlichen Schüler, sieht ihm so ähnlich, dass Marc in Bens Kleidung und mit dessen Pass heil über die Grenze kommen könnte. Als dann Ben in einem unbeobachteten Moment von Marc und seinen Freunden entführt wird, läuft alles nach Plan. Marc flieht ohne Probleme nach West-Berlin. Doch für Ben läuft nichts nach Plan. Die Behörden nehmen ihm den erzwungenen Rollentausch nicht ab. Er wandert an Marcs Stelle ins Kinderheim.

Helen Endemann hat vor dem geschichtlichen Hintergrund eines geteilten Deutschlands einen unglaublich spannenden und informativen Jugendroman geschrieben. Aus der Sicht der Jugendlichen Marc und Ben führt sie zwei unterschiedliche Lebensweisen vor, die sowohl Ben als auch Marc mit staunenden Augen erleben. Im geteilten Deutschland ist jenseits der Grenze jeder von ihnen ein Fremder. Bestimmte Redewendungen, Kleidung, das soziale Miteinander und Konsumverhalten signalisieren die Herkunft. Ein Wessi im Osten und ein Ossi im Westen können sich unmöglich verstecken. Mehr denn je sind Ben und Marc auf echte Freunde und Familie angewiesen. Das Dilemma, in einer fremden Rolle zu leben, lässt beide über sich hinauswachsen, trotz eines Gefühls der Ohnmacht und des Ausgeliefertseins (S. 95).

Die packende Abenteuergeschichte wurde wenige Jahre vor dem Mauerfall 1989 angesiedelt. Geschichte und spannende Abenteuer kann man kaum besser verpacken.

Helen Endemann: Todesstreifen.
Rowohlt, August 2019.
256 Seiten, Taschenbuch, 14,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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