Gloria Naylor: Die Frauen von Brewster Place (1982)

Der Brewster Place ist ein teilweise abgeriegelter sozialer Brennpunkt am Rande einer amerikanischen Großstadt. Anfangs führte an den Hochhäusern eine Straße vorbei, die in eine Einkaufsstraße mündete. Später wurde an dieser Mündung eine Mauer quer über die Straße gebaut, so dass nur noch die Bewohner aus den oberen Etagen auf das geschäftige Treiben und die Lichter schauen konnte. Wer nach dem Mauerbau zum Brewster Place zog, hatte in der Regel bereits alles für seinen sozialen Aufstieg versucht und sich mit dem Scheitern abgefunden. Hier zog niemand mehr weg, es sei denn mit den Füßen zuerst.

Die New Yorker Autorin Gloria Naylor (1950-2016) zeigt in ihrem nach wie vor modernen Debütroman aus dem Jahr 1982, wie schwarze Frauen mal mit oder ohne Kinder ihren Alltag mit harter Arbeit und Armut bewältigen. Das Besondere in diesem Roman ist nicht nur der ungewöhnliche Aufbau sondern auch der Fokus auf die Frauen. Das Leitthema ist die Frage: Was passiert mit schwarzen Frauen, denen die Chance auf Bildung und sozialen Aufstieg erschwert wird oder wenn sie mit einer guten Schulbildung ihren Platz in der Gesellschaft finden wollen?

In diesem Kontext spielen Männer in dem von der Autorin eng definierten Verhaltensmuster meist nur eine penetrierende Rolle. Mal helfen ihnen dabei Überzeugungskünste oder im schlimmsten Fall Gewalt.

Gloria Naylor zeigt beiläufig die Hürden und Hindernisse, an denen sich die unterschiedlichen Frauen aufreiben. Mal helfen sie sich gegenseitig, mal zetern sie, unter anderem wenn die sexuelle Orientierung zweier Frauen als anstößig empfunden wird. Dabei könnten die Klägerinnen zufrieden über die fehlende Konkurrenz sein. Nach dem Motto: Zwei Frauen weniger in der Nachbarschaft, mit denen der eigene Mann fremd gehen könnte. Doch die Toleranz ist nicht immer so, wie sie sein könnte. Neid und Missgunst lassen sich selten ausschließen, wenn Bildung und Lebenserfahrung fehlen. Doch wenn fremde Einflüsse zugelassen werden, geschieht etwas Wunderbares. Zum Beispiel bei der alleinerziehenden Mutter, die sich beim Besuch der gebildeten Nachbarin plötzlich daran erinnert, dass sie früher gern zur Schule gegangen ist. Der Besuch eines Theaterstücks im Park mit all ihren Kindern öffnet ihre Augen. Sie denkt erstmalig an die Zukunft.

Wie so eine Zukunft aussehen könnte, zeigt die Autorin in ihrem zweiten Werk Linden Hills. Sowohl im Romanaufbau als auch inhaltlich wird dieser Roman bereits im Debüt vorbereitet, in dem eine junge Frau aus dem dem angesehenen Linden Hills wegzieht, um in einer Ein-Zimmer-Wohnung am Brewster Place zu leben. Sie nennt sich dort Kiswana und will die sozialen Verhältnisse verbessern. Der Blick aus ihrem Fenster in der sechsten Etage schenkt ihr eine Übersicht und räumliche Distanz, die ihren Bildungsstatus symbolisiert. Natürlich ist das Scheitern ihrer Bemühungen bereits vorprogrammiert, denn Amerika wird vom Geld weißer Männer gesteuert.

Von Kapitel zu Kapitel zeigt die Autorin eindrucksvoll das Leben unterschiedlicher Frauen, die eine lose Gemeinschaft bilden und doch mehr gemeinsam haben, als auf den ersten Blick erkennbar ist. Die Akzeptanz alleinerziehender Frauen hat sich in den letzten Jahrzehnten vielleicht gebessert, die Probleme jedoch nicht.

Fazit: Sehr lesenswert, am besten zuerst das Debüt und anschließend Linden Hills lesen.

Gloria Naylor: Die Frauen von Brewster Place (1982).
Aus dem Englischen übersetzt von Sibylle Koch-Grünberg.
Unionsverlag, September 2022.
256 Seiten, Taschenbuch, 14,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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