Florian Weber: Die wundersame Ästhetik der Schonhaltung beim Ertrinken

Heinrich Pohl treibt im indischen Ozean und weiß nicht, warum. Da hilft nur eine gute Portion Konfabulation, die Kunst, Gedächtnislücken durch frei erfundene Begebenheiten auszufüllen. Möglichst fantasievoll. Heinrich klammert sich an eine mit Styropor ausgekleideten Hartplastikbox und ernährt sich von Bier, das in Dosen an ihm vorbeischwimmt. Dass er von einem Lama, einem Clown, einem Aktenkoffer mit mörderischem Inhalt und einem bald untergehenden Klavier umgeben ist, macht es ihm zunächst nicht einfacher zu verstehen, was passiert ist.

Dies ist das wunderbare Anfangs-Szenario, das einen Titel wie „Die wundersame Ästhetik der Schonhaltung beim Ertrinken“ verdient. Beim Lesen vergisst man schnell, dass das Ende des Heinrich Pohl hier bereits melancholisch vorweggenommen wird.

Vor seinem Hinuntergleiten in die Tiefen des Meeres erinnert Heinrich sich an seine Kindheit, an seine Außenseiterstellung in der Familie und besonders an seinen Onkel Wendelin, dessen Antiquitätengeschäft in München seine wahre Heimat gewesen ist. Dort stand auch ein Klavier … was noch nicht erklärt, warum dieses nun langsam im indischen Ozean untergeht. Die Schätze und der Krimskrams in Wendelins Geschäft begleiteten Heinrich durch seine Kindheit und Jugend, ganz besonders die unverkäuflichen Gegenstände, die, teils offenbar wertlos, Wendelins gutgehütetes Lebens-Geheimnis symbolisieren. Darunter übrigens ein paar Kastanien. Nach und nach erinnert Heinrich sich im Ozean treibend daran, dass er gemeinsam mit dem Onkel nach Amerika aufgebrochen ist, Stück für Stück die Geheimnisse von Wendelins Lebens lüftend, das von einer großen Liebe beherrscht wird und unter einem geheimnisvollen Kastanienbaum enden wird.

Das Buch ist ein wehmütiger, humorvoller Roadtrip, eine Familiengeschichte und, wie alle guten Romane, eine Reise des Protagonisten zu sich selbst. Schade ist, dass Florian Weber seinen Lesern so wenig zutraut; der etwas trottelige Heinrich versteht immer erst sehr viel später als der Leser, welches Geheimnis gerade gelüftet wurde, und viele interessante popkulturelle Bezüge werden dem Leser unnötigerweise erklärt.

Florian Weber, 1974 in Schrobenhausen geboren, lebt als Musiker (Sportfreunde Stiller, MS Flinte, Taskete!, Bolzplatz Heroes) und Autor in München.

Florian Weber: Die wundersame Ästhetik der Schonhaltung beim Ertrinken.
Heyne, März 2022.
320 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Corinna Griesbach.

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.