Emma Stonex: Die Leuchtturmwärter

Der Klappentext klingt ein bisschen wie ein klassischer Agatha-Christie-Roman: drei Männer verschwinden aus einem verschlossenen Leuchtturm und tauchen nie wieder auf. Was ist geschehen?

Dieses tatsächliche Ereignis aus dem Jahr 1900 ist der Dreh- und Angelpunkt des Romans der britischen Autorin, die die Ereignisse allerdings ins Jahr 1972 verlegt, sowie auf einer zweiten Zeitebene die Frauen der verschwundenen Leuchtturmwärter zwanzig Jahre später 1992 beobachtet.

Ein Autor nämlich greift das Verschwinden wieder auf und möchte die drei Damen interviewen. Diese sind gezeichnet von den Vorkommnissen, gehen jedoch sehr unterschiedlich damit um. Helen, Jenny und Michelle haben sich ihr Leben neu schaffen müssen. Die eine vermag darüber hinwegzukommen und eine neue Familie zu gründen, während die andere in der Vergangenheit haften bleibt, ihre Animositäten und Feindschaften pflegt.

Wesentlich mehr als die Szenen mit den Frauen haben mich die Blickwinkel der Männer angesprochen und deren Gefühle fasziniert. In diesen Abschnitten passt der geruhsame, bedächtige Schreibstil perfekt zum geruhsamen und eintönigen Leben auf dem Leuchtturm. Dieser, weit vor der Küste auf einem winzigen Felsen gelegen und stets vom Meer umtost, bietet keinerlei Abwechslung und die jeweils gemeinsam Dienst habenden drei Männer müssen sich beschäftigen, miteinander klarkommen und ihre Tage irgendwie füllen. Chronologisch erzählt Emma Stonex die Abläufe in den Tagen vor Weihnachten und Silvester, dem Tag des Verschwindens. Dabei steigt die Spannung, trotz des ereignislosen Lebens, eben weil man als Leserin im Vorhinein weiß, dass ein Unglück geschehen wird.

Dem gegenüber sind die aus der Perspektive der Frauen geschriebenen Kapitel einigermaßen  langweilig. Sie sind jeweils in der dritten Person geschrieben, gefolgt von einer Szene, die so tut als schildere sie das Interview des Autors, jedoch ohne dessen Fragen zu zeigen. Man folgt also den Antworten Helens, Jennys oder Michelles, als würde man nur einen Teil eines Gesprächs hören können. Wenn man sich erstmal darauf eingelassen hat, ist es eine interessante Erzählmethode, was die Kapitel jedoch nicht interessanter oder fesselnder macht.

Dadurch verschenkt die Autorin meiner Meinung nach die Chance, eine wirklich spannende Geschichte zu erzählen. Das ist schade, bietet der Plot doch eine wunderbare Grundlage für geradezu einen Thriller. Was mich dagegen fasziniert hat, sind die Schilderungen der Wildheit des Meeres, der tosenden Brandung, der Wucht und der Gefahr, derer sich nicht nur die Männer auf ihren Leuchttürmen bewusst sind, sondern auch die drei Frauen, die auch damit unterschiedlich umgehen. So pilgert beispielsweise Helen, die längst von dort weggezogen ist, immer wieder ans Meer, zum Leuchtturm und damit zu ihren Erinnerungen.

Mein Fazit: ein leider etwas langweiliger Roman, der seine Möglichkeiten stilistisch nicht ausreizt.

Emma Stonex: Die Leuchtturmwärter.
Aus dem Englischen übersetzt von Eva Kemper.
S. Fischer, August 2021.
432 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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