Ellen Sandberg: Die Schweigende

München, 2019: Seitdem Karins Manns vor wenigen Wochen verstarb, ist sie nicht mehr die Alte. Ihre erwachsenen Töchter Imke, Angelika und Anne machen sich Sorgen. Imke, die beim Tod des Vaters dabei war, steht außerdem vor großen Fragen. Denn ihr Vater bat sie mit seinem letzten Atemzug, nach Peter zu suchen. Doch wer ist Peter? Spricht man die Mutter darauf an, blockt Karin ab und gibt an, sie kenne keinen Peter. Doch Imke lässt nicht locker und deckt die Geheimnisse der Vergangenheit auf.

München, 1956: Karin ist ein 16-jähriger Teenager und genießt die Zeit mit ihren Freunden. Doch mit ihrem provokativen Verhalten gerät sie ins Visier der Nachbarn. Diese zeigen ihre Mutter bei der Polizei an, wenig später steht das Jugendamt vor der Tür und das Sorgerecht ist in Gefahr.

Immer ums Jahresende herum kommt er mit Sicherheit. Ein neuer Roman von Ellen Sandberg alias Inge Löhning, der einschlägt wie eine Garante. Diesmal befasst sie sich in ihrem Werk mit der Heimerziehung der 1950er und 1960er Jahre. Für mich auch beruflich ein hochbrisantes und interessantes Thema. Deshalb hat sie für mich diesmal den Nagel gleich doppelt auf den Kopf getroffen. Immer abwechselnd die Geschichte aus der Sicht von Karin, Imke, Anne und Geli in der Gegenwart erzählt. Unterbrochen wird der Erzählfluss von Karin aus dem Jahr 1956. Nach und nach kommen immer neue Details ans Licht und man ist gefesselt von der Geschichte.

Die Karin der Gegenwart gibt schnell Rätsel auf. Sie duscht nicht gerne, macht immer nur Katzenwäsche am Waschbecken. Eine Außentür des Hauses muss immer offen stehen, sonst fühlt sie sich nicht wohl. Dass sie damit ihre Familie in Gefahr bringt, ist ihr egal. Denn im Verlauf des Romans wird eine Situation geschildert, als die Mädchen noch klein waren und ein Fremder sich über die offene Tür Zutritt zum Haus verschafft hatte. Auch hat Karin Selbstmordversuche hinter sich, spricht nicht über die Vergangenheit und besitzt keine Fotos ihrer Kindheit und Jugend. Ihr Erziehungsstil war immer sehr kühl und distanziert. Sie wollte stets das Beste für ihre Töchter, die emotionale Wärme mussten sich diese beim Vater abholen. Dass nun die Mutter übrig geblieben ist und man sich um sie kümmern muss, sorgt bei den drei Frauen nicht gerade für Begeisterungsstürme.

Auf dieser Basis entwirft Ellen Sandberg eine spannende Geschichte, bei der immer mehr ans Licht kommt. Ich konnte diesen Roman – wie eigentlich fast jeden der Autorin – kaum aus der Hand legen. In meinen Augen ist er genauso gut wie ihr erster Roman „Die Vergessenen“, der 2017/18 mein absolutes Jahreshighlight war. Unbedingt lesen!

Ellen Sandberg: Die Schweigende.
Penguin Verlag, Oktober 2020.
544 Seiten, Taschenbuch, 16,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Janine Gimbel.

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