Eduardo Haflon: Duell

… Ich nahm einen zweiten Schluck, den ich noch unangenehmer fand als den ersten, und gleichzeitig befiel mich ein Gefühl von … Traum … Die alte Frau beobachtete mich mit festem Blick … Es wird Ihnen helfen, Ihre Wahrheit zu sehen … , die Wahrheit, die Sie in sich tragen, sagte sie.“ (S. 59 E-Book)

Der Erzähler hat in seiner Jugend viele Geschichten über seine Familie gehört, manche immer wieder, als gelte es, etwas in der Erinnerung zu verankern, andere überraschen oder irritieren aufgrund des innewohnenden Widerspruchs. Doch ein bestimmter roter Faden zieht sich durch seine Familienbiographie, das Schweigen über Salomon, dem verstorbenen Bruder seines Vaters. Nach seinem Tod wurde niemand mehr in der Familie auf diesen Namen getauft, als wolle man die Tradition dieser Namensvergabe ebenfalls beerdigen.

Im Laufe der Jahre kommen neue Geschichten hinzu, manche halbwahr, manche erfunden. Salomon könnte vollständig in Vergessenheit geraten, wenn nicht dieses im Jahr 1940 entstandene Foto aus New York wäre. Es zeigt einen kleinen Jungen mit traurigem Gesicht und großem Kopf. Für den Erzähler wird es höchste Zeit, zum Amatitlán-See nach Guatemala zu reisen, wo das Haus seiner Großeltern stand und er mit seinem jüngeren Bruder die Kindheit verlebte. Die innere Unruhe lässt ihm keine andere Wahl.

Der Autor und Professor für Literatur Eduardo Halfon wurde 1971 in Guatemala-Stadt geboren. 1981 zog seine Familie nach New York. Er zählt zu den wichtigsten Schriftstellern der jüngeren lateinamerikanischen Literatur. Für seinen wunderbaren Kurzroman Duell, übersetzt von Luis Ruby, erhielt er 2018 den Prix du Meilleur livre étranger.

Die Geschichte des Erzählers berührt schon in den ersten Zeilen und lässt den Leser nicht mehr los, unter anderem weil sich Geschichten über unterschiedliche Verluste aneinanderreihen. Der Verlust der Heimat, von Familienmitgliedern, aber auch der von Kindern, die so leicht und erschreckend schnell im Amatitlán-See ertrinken. Eduardo Halfon schreibt mit starker Symbolkraft und Finesse einen wechselseitigen Verlauf, bei dem sich Heute und Gestern ineinander verweben. Nur so kann alles zusammen ein Ganzes ergeben. Und wenn die wichtigste Information gefunden ist, dann kommt die Zeit für den inneren Frieden, für Salomon und Shalom.

Spannend und dicht erzählt entwickelt sich die Spurensuche, die, wie bei allen Meisterwerken, neben dem Offensichtlichen einen Reichtum an kulturellen Verknüpfungen bietet.

Eduardo Haflon: Duell.
Hanser, September 2019.
112 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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