David Levithan: Was andere Menschen Liebe nennen

Stephen ist 16 Jahre alt, hat keine Freunde, war noch nie in der Schule oder hat mit Gleichaltrigen gespielt. Seit einiger Zeit hat er sogar nicht mal mehr mit einem Menschen geredet – denn seine Mutter ist gestorben. Warum das alles so ist? Stephen ist für andere Menschen unsichtbar. Nur seine Mutter und seinen Vater wissen, dass es ihn gibt, doch sein Vater hat die Familie vor langer Zeit verlassen und nach dem Tod der Mutter ist Stephen auf sich gestellt. Nur wenn er sich stark konzentriert, kann er Dinge wie Türklinken benutzen oder Gegenstände berühren. Denn so geisterhaft Stephens Existenz zu sein scheint, hat er doch menschliche Bedürfnisse, muss essen und möchte an die frische Luft. Als er im Hausflur schließlich die neue Mitbewohnerin Elizabeth trifft, kann er seinen Ohren kaum trauen: Elizabeth spricht ihn direkt an und scheint ihn sehen zu können! Der erste Mensch seit 16 Jahren! Kann das möglich sein?

David Levithans neuster Roman spielt im New York der Gegenwart und stellt eine etwas sonderbare Hauptfigur in den Mittelpunkt. Levithan hat generell ein Faible für das Besondere, seine Figuren wechseln tagtäglich den Körper oder sind, wie Stephen, eben unsichtbar. Meistens steht der Fantasy-Aspekt dabei im Hintergrund, wird kaum näher betrachtet, und es geht im Wesentlichen um die Gefühle zwischen den Menschen. Bei „Was andere Menschen Liebe nennen“ halten sich beide Anteile ungewöhnlicherweise die Waage, denn mit jeder gelesenen Seite entwickelt sich die Geschichte auch fantasievoll und der Autor entwirft ein Netz aus Flüchen, Fluchlesern und Fluchschreibern, das sich durch die menschliche Gesellschaft zieht und von kaum jemandem wahrgenommen werden kann.

Die Figuren des Romans sind dennoch sehr gelungen. Vor allem Stephen ist im ersten Drittel ein faszinierender Charakter. Er kennt kaum menschliche Gefühle, hat aber menschliches Verhalten von seinem unsichtbaren Beobachtungspunkt genau analysiert. Als er mit Elizabeth dann wirklich Verhaltensformen trainieren kann, ist er erstaunt über die Bandbreite menschlicher Gefühle. Es macht sehr viel Spaß, dies zu lesen. Dennoch ist es schwer, eine Zielgruppe für den Roman zu finden. Vielleicht ist er geeignet für Jugendliche ab 14 Jahren und Erwachsene, die auch einen Fantasy-Kontext nicht scheuen.

Gute Unterhaltung mit leichtem Tiefgang, ein typischer Levithan-Roman ist „Was andere Menschen Liebe nennen“ allerdings nicht.

David Levithan: Was andere Menschen Liebe nennen.
cbt, Juni 2017.
416 Seiten, Taschenbuch, 14,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Janine Gimbel.

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