David Lama: Sein Leben für die Berge: Von ihm selbst erzählt

Es gibt Menschen, die für ihre Passion alles geben und deshalb intensiv und kompromisslos leben. David Lama lebte so und erfuhr in seiner Familie eine scheinbar grenzenlose Unterstützung. Bereits als Dreijähriger begleitete er seine Eltern in die Berge. Davids Vater, Rinzi Lama, ein ehemaliger Sherpa aus der Everest Region, begegnete 1987 seiner zukünftigen Frau Claudia, als diese und ihre Freundinnen einen Führer für eine dreiwöchige Wanderung buchten. Ein Jahr später heirateten sie und wohnten zusammen in Österreich. 1990 wurde David geboren.

David Lama war bereits im Alter von fünf Jahren vom Klettern begeistert. Dank der Beharrlichkeit seiner Mutter wurde er in eine Kletterschule für Kinder aufgenommen. Schon am ersten Tag fiel sein grandioses Talent auf, und David gewöhnte sich daran, immer und überall der Kleinste und Jüngste zu sein. Dies fällt auch bei den unzähligen Wettkämpfen und Weltmeisterschaften auf, bei denen der Junge David häufig zu den Besten zählte. Nach der Bezwingung des Cerro Torre im Freikletterstil war er endgültig dem Alpinismus verfallen und nahm an keinem Wettkampf mehr teil. Dieser rigorose Entschluss war auch in seiner Jugend eines seiner Wesensmerkmale. Denn um sich als Jugendlicher voll auf die Wettkämpfe zu konzentrieren, verließ er trotz zahlreicher Widerstände die Schule. Wenn Klettern, dann sollte es richtig gemacht werden, mit ganzem Herz und ganzer Seele.

Während ein Sportkletterer mit einem Fahrzeug zur Kletterhalle fährt, sich im geschützten Raum umzieht, um anschließend an einer vorbereiteten Kletterwand die schwierigsten Griffe auszuprobieren, befindet sich der Alpinist in jahrelangen Projekten. Man darf sich als Laie eine Klettertour im Winter so vorstellen: 02.00 Uhr aufstehen, nach dem Frühstück mit kompletter Ausrüstung auf dem Rücken 20 km zur Felswand wandern, ausruhen, 1,5 Liter Wasser trinken, weil eine Flüssigkeitsaufnahme in der Wand mitunter schwierig ist und dann einen idealen Weg zum Gipfel finden und erklettern. Je nach ausgewählter Route geht es über steile Schneefelder, wo man hüfttief im Schnee versinkt und danach äußerst anspruchsvolle Felspassagen erklettert, die mal glatt, porös, nass oder vereist sein können.

„… Wie schon am Anfang der Route formen die Adern aus Eis die Kletterlinie. Je höher ich komme, desto dünner werden sie, gehen über in Kapillare, die mein Gewicht fast nicht mehr tragen.“ (S. 394/395)

An dieser Stelle könnte man menschenfeindliche Wetterumschwünge erwähnen, herabstürzende Felsen, Eisbrocken und Lawinen beschreiben, um die unfassbare Leistung des Freikletterers zu vervollständigen.

„… Am späten Nachmittag stehe ich dann aber endlich am Gipfel. Über 13 Stunden war ich unterwegs …“ (S. 395)
Und wer so hochgeklettert ist, muss auch wieder heil hinunter.

„… Aber nach dieser Tour ist mein Verlangen nach Zivilisation wieder genauso groß wie zuvor mein Verlangen nach Abenteuer.“ (S. 395)

David Lamas Verständnis für Klettern erklärt er so: „… Was mich hingegen wirklich faszinierte, waren logische Linien. … Bei alpinen Wänden … wurde ich nur noch wählerischer … Für mich war immer der leichteste Weg durch eine Wand der reizvollste, …“ (S. 378)

Seine berühmte Route zum Gipfel des Cerro Torre in Patagonien hat das freie Klettern an sich und den Alpinismus geprägt.

Im Idealfall sollte nach einer Klettertour kein gebohrter Haken zurückbleiben und die Natur heil bleiben. Dass dies zu kontroversen Diskussionen führt, liegt auf der Hand. Mit viel Technik, die nicht nur Sicherheit verspricht, erreichen mehr Kletterer den Gipfel. Für einen florierenden Klettertourismus dürfte dies ein wichtiger Aspekt sein, erst recht, wenn offizielle Routen vorbereitet worden sind.

2020, ein Jahr nach seinem tödlichen Bergunfall, sind seine beiden Bücher „High“ und „Free“ sowie ausgewählte Texte in einem Sammelband neu aufgelegt worden. Der Leser darf sich darüber hinaus auf beeindruckendes Bildmaterial freuen. Präzise und unterhaltsam erzählt David Lama über seinen einzigartigen Weg zum persönlichen Stil des freien alpinen Kletterns, bei dem sowohl der junge David als auch der Erwachsene sprachlich Akzente setzen.

David Lama war ein Berufskletterer, der Beruf und Berufung in einem fand. Seine Weggefährten hatten in ihm jemanden mit immenser Entschlossenheit und Visionen an ihrer Seite, wenn sie Wände bezwangen und neue Linien zum Gipfel ausprobierten. Er war aber auch jemand, der nach dem Klettern wie ein Kind zu Späßen und Streichen aufgelegt war. Er lebte kurz und extrem intensiv – stets am absoluten Limit. Bei dieser Gratwanderung war es für ihn, „… als befände ich mich gerade im Totpunkt, einem kurzen Augenblick, in dem sich Fliehkraft und Schwerkraft gegenseitig aufheben und keine Energie mehr da ist, gegen die man ankämpft.“ (S. 463, 464)

David Lama: Sein Leben für die Berge: Von ihm selbst erzählt.
Penguin Verlag, April 2020.
480 Seiten, Gebundene Ausgabe, 26,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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