Colum McCann: Wie spät ist es jetzt dort, wo du bist

Der Autor Colum McCann wurde im Sommer 2014 Opfer einer Gewalttat, bei der er niedergeschlagen wurde, wie er in der Nachbemerkung des Buches beschreibt. Dieses traumatisierende Erlebnis hat Colum McCann auch in den Geschichten dieses Buches verarbeitet. Das Vorfeld von zwei Geschichten hat er vor dem gewalttätigen Übergriff verfasst, als hätte er das Später bereits erahnen können. Dabei kommt McCann ganz ohne Effekthascherei aus, denn er legt den jeweiligen Focus nicht auf die Taten selbst, sondern auf die bedrückenden und einschneidenden Nachwirkungen.

Die Geschichte „Dreizehn Sichtweisen“ beschreibt die Lebenssituation mit allen körperlichen Einschränkungen des zweiundachtzig jährigen verwitweten Mendelssohn, der sich in einem Restaurant in Manhattan mit seinem Sohn Eillot zum Essen verabredet. Das Groteske an der Geschichte ist, dass Eillot sich seinem Vater kaum widmet, sondern sich nur mit seinem Handy beschäftigt.  Als Mendelssohn später allein das Restaurant verlässt, wird er überfallen und stirbt. Die Polizei kann das Verbrechen trotz überall vorhandener Videokameras nicht aufklären.

In „Wie spät ist es jetzt dort, wo du bist“ konfrontiert uns der Autor mit der Geschichte über eine junge Soldatin, die fern der Heimat der Kälte zwischen den afghanischen Bergen ausgesetzt ist. An Silvester denkt sie an ihren Sohn und ihre Geliebte und möchte mit ihnen telefonieren.

Die Geschichte „Frieden“ handelt von einer sechsundsiebzigjährigen Missionsschwester, die als junge Frau im Dschungel während eines Guerillakrieges verschleppt und vier lange Wochen gefangen gehalten und gefoltert wurde. Sie verdrängt die Geschehnisse, die sie nie verarbeiten konnte. Als sie im hohen Alter im Fernsehen plötzlich ihren ehemaligen Peiniger zu erkennen glaubt, der zwischenzeitlich Karriere gemacht hat und nun ausgerechnet Vertreter einer Friedenskommission geworden ist, ist alles Erlebte wieder in ihr präsent.

In Sh’khol beschreibt McCann die Nöte und Ängste einer Mutter, deren Adoptivsohn in der Nacht verschwindet. Sie befürchtet ein Unglück im Meer und leidet unter Selbstvorwürfen.

McCann beschreibt Situationen, die man niemals erleben möchte. Dabei verwendet er Komponenten unterschiedlichster Sichtweisen, die er seinen Figuren gezielt zuordnet. So gelingt es ihm,  eindringliche Szenerien zu erschaffen, die ein beängstigendes Unbehagen auslösen.

Colum McCann: Wie spät ist es jetzt dort, wo du bist?.
Rowohlt, Mai 2017.
256 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,95 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.

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