Christos Tsiolkas: Barrakuda

bar„… Ein Leben, das in Scham und nur durch Scham gelebt wird, es haftet an ihm, es steht wie die Sonne jeden Morgen mit ihm auf, und es wartet, während er schläft. Er lebt in der Scham, er riecht nach ihr. Dann der nächste Gedanke: Ich bin im Wasser.“ (S. 378)
Schwimmer haben in Australien Kult- und zugleich Starstatus wie in Brasilien, Deutschland, England, Spanien bestimmte Fußballspieler. Wer einmal die Goldmedaille gewonnen hat, der hat es geschafft. Jeder kennt und verehrt den Goldjungen, das Goldmädchen wie Nationalheilige. Reich und berühmt können sie werden, egal aus welchen Verhältnissen sie kommen.
Daniel Kelly kommt aus einer Arbeiterfamilie und ist ein vielversprechendes Schwimmtalent. Für seine Schwimmkarriere will er alles opfern.
Im Roman „Barrakuda“ hat er viele Namen, die seine Stationen im Leben widerspiegeln: Auf dem Startblock steht der kleine Danny Kelly, Sohn einer Griechin, der hoffnungsfroh und glücklich jede Herausforderung als Abenteuer und Geschenk erfährt. Es springt der zehnjährige Barrakuda, der zum schnellsten, besten und stärksten Schwimmer in der Schule wird. Außerhalb des schützenden Schwimmbeckens wehrt sich der Psycho Kelly seiner Haut. Denn die reichen, verwöhnten Mitschüler der Eliteschule quälen gern die Schwachen, die Außenseiter und erst recht die Stipendiaten aus Arbeiterfamilien, die unter ihres gleichen bleiben sollten. Außerhalb der Schule, im normalen Leben, wird der in Australien geborene Daniel zum „Griechen“. Dan, der Erwachsene, leidet unter der Scham seines Scheiterns, bis ihm eines Tages ein Geschenk gemacht wird.
Der Autor Christos Tsiolkas, geboren 1965 in Melbourne, hat einen wunderbaren und zugleich vielschichtigen Roman geschrieben, der eine starke Sogwirkung ausübt. Denn jedes Kapitel funktioniert wie ein Puzzleteil und offenbart Stück für Stück die Geschichte eines ganz besonderen Menschen. Beiläufig wird am Beispiel von Daniel Kelly viel über das Leben in Australien sichtbar, über die gläserne Wand zwischen reich und arm und dem Rassismus.
So, wie andere unbewusst atmen, so beiläufig gekonnt spielt der Autor mit der Sprache, den Stilmitteln und zieht einen Spannungsbogen, der einem Thriller gut zu Gesicht stünde. Doch statt eines Thrillers hat Christos Tsiolkas eine spannungsreiche Geschichte über das Erwachsenwerden geschrieben, in der unter dem Gesichtspunkt der Glaubwürdigkeit nichts ausgespart wird. Die Qual der Scham, sich nichts Verzeihen können, die Suche nach einem Platz im Leben, die Liebe zwischen Männern und schließlich das Aufstehen, wenn man am Boden liegt. Das Leben geht weiter. So oder so. Viel zu schnell ist die letzte Zeile des letzten Kapitels erreicht, und eigentlich möchte man weiterlesen. Immer weiter, weil es auch im Leben immer weiter geht, bis es dann irgendwann vorbei ist. Leider.

Christos Tsiolkas: Barrakuda.
Klett-Cotta, Februar 2014.
467 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,95 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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