Christoffer Holst: Gefährliche Mittsommernacht

Krimi oder Romanze? Auch als Autor mit analysierendem Blick auf Inhalt und Stil wird mir erst zur Mitte des Romans klar, wo der Genre-Schwerpunkt dieses Cross-Over-Romans von Christoffer Holst liegt oder liegen soll. Dafür werden sofort wohltuende Assoziationen wach: Von Smørrebrød (dem Klang der Ortsnamen wegen, obwohl die Geschichte in Schweden spielt) hin zu Bestsellern aus dem Heyne-Verlag. Wegen der Ich-Perspektive und der Ironie, die einem aus jeder Zeile entgegenlacht, vergleiche ich die „Gefährliche Mittsommernacht“ unwillkürlich mit Karsten Dusses Reihe „Achtsam morden“.

Aus Frust über das Ende ihrer Beziehung entflieht die Journalistin Camilla Storm, genannt Cilla, der Großstadt Stockholm auf die winzige Insel Bullholmen, wo sie in ein Schrebergartenhäuschen einzieht. Gleich in der ersten, der Mittsommernacht beobachtet sie den heftigen Wortwechsel eines jungen Paares. Am nächsten Morgen wird die Leiche des Mädchens am Badestrand aus dem Wasser geborgen, und Cilla muss dem Polizisten Adam Rede und Antwort stehen. Das Knistern zwischen ihr und dem attraktiven Ermittler macht die Lösung des Falles nicht einfacher. Weder von der Suche nach Spuren und Motiv noch von der Achterbahn ihrer Gefühle her. Auch nicht nach einem zweiten Mord.

Christoffer Holst wagt viel. Sein lockerer Schreibstil mit den vielen Dialogen und Gedanken, die zusammen gefühlt 80% des Buches füllen und oft wenig bis nichts mit den Morden zu tun haben, konkurriert mit der einem Krimi innewohnenden Spannung. Selbstzweifel und die Sehnsüchte Cillas nach einem geordneten Leben und ihre Gedankenschnipsel etwa über ihren Schrebergarten oder andere Nebensächlichkeiten lenken immer wieder von den Mordfällen ab. Das macht das Lesen unaufgeregt, denn das Entsetzen wird verdrängt, der lockere Plauderton scheint oft unangemessen. Holst nutzt unvollständige Sätze, häufige Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart oder verschiedene Schrifttypen, um Stimmungen zu transportieren. Die wirre Gefühlswelt einer 30jährigen wird durch ständige Gedankensprünge und plötzlich auf Petitessen gelenktes Augenmerk vorzüglich charakterisiert. Genau in der Mitte des Buches ändert sich das alles, Holst greift zu einem neuen Stilmittel: Furcht. Konzentriert beschrieben aus dem Blickwinkel Cillas. Zwar treten Lösung und Unhold gegen Ende ein wenig als Deus ex Machina in Erscheinung, aber wer besonders die Rückblenden aufmerksam las, wird nickend zustimmen. „Natürlich, da hätte ich auch drauf kommen können!“

Krimiliebhaber müssen sich an den lockeren Schreibstil gewöhnen, und sie kommen erst in der zweiten Hälfte voll auf ihre Kosten. Vielleicht brauchen skandinavische Krimis die aufheiternde Stimmung eines Sommers, die sich im Stil widerspiegeln muss. Wer Romantik mag, ist mit der gefährlichen Mittsommernacht von Anfang an gut bedient. Keineswegs schnulzig, sondern mit der detaillierten Besinnung Cillas auf sich selbst, auf Adam und nicht zuletzt mit ihrer liebevollen Betrachtung der farbenfrohen Umgebung entführt der Roman seine Leser*Innen in eine Idylle, die alle zehn Jahre durch eine Bluttat gestört wird. Wenn ich bei dem sympathischen Buch dennoch Abstriche mache, dann deshalb, weil Holst beim Spagat zwischen Schauer und Romanze zu lange unentschlossen bleibt, das erste halbe Buch in diesem Sinne zu ausschweifend ist und nicht auf den Punkt kommt. Ab der Mitte verdichten sich Inhalt und Sprache, haben mich gefesselt und für die streckenweise bezugs- und spannungslose Leichtfüßigkeit vorher entschädigt.

Christoffer Holst: Gefährliche Mittsommernacht.
Heyne, Mai 2021.
320 Seiten, Taschenbuch, 10,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Michael Kothe.

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