Chris Kraus: Scherbentanz

Jesko ist ein Außenseiter in seiner Familie. Während sein Vater und sein Bruder ernst Geschäftsmänner sind, die immer Anzug tragen, keine Gefühle zulassen und im Geld schwimmen, ist er Modedesigner, der seine Klamotten selbst näht und gerne Röcke trägt. Er vermeidet den Kontakt zu seiner Familie, sooft es eben möglich ist, zu seiner Mutter, von der sein Vater sich in seiner frühsten Kindheit scheiden ließ, hat er keinen Kontakt mehr.

Doch eine Sache schweißt die zerbrochene Familie wieder zusammen: Jesko hat Leukämie und wird bald sterben, da sich kein passender Knochenmarkspender findet. Bis seine verschwundene Mutter wieder auftaucht, die einzige in der Familie, die noch nicht als Spender ausgeschlossen wurde.

Jesko wird zurück in die Villa seines Vaters gelockt, um seine Mutter davon zu überzeugen, ihm das Leben zu retten. Dort angekommen muss er feststellen, dass sie geisteskrank ist und nicht selbstständig denken kann.

Aber das ist nicht der Grund, warum Jesko sich weigert, die Spende seiner Mutter anzunehmen. Obwohl er kurz vor dem Tod steht, will er die Rettung nicht annehmen und weigert sich, mit seiner Mutter zu sprechen. Denn vor vielen Jahren, als er und sein Bruder noch Kinder waren, hat diese Frau ihm etwas Schreckliches angetan.

Diese unüberwindbare Vergangenheit ist nicht das einzige Familiengeheimnis, das im Laufe von Jeskos Aufenthalt in der Villa zum Vorschein kommt. Sein Vater hat Erinnerungen aus dem Krieg, die ihn nicht loslassen und verheimlicht etwas vor seinem Sohn, das sein Leben retten könnte. Selbst sein Bruder, der perfekte Sohn seines Vaters verbirgt ungeahnte Abgründe.

Die Familie als solche erschafft mehr Trauma, als sie verarbeitet, sie ist nicht funktionsfähig und doch sind die einzelnen Mitglieder aufeinander angewiesen.

„Scherbentanz“ von Chris Kraus ist ein gleichermaßen fesselnder wie verstörender Roman. Der zynische Erzähler Jesko führt den Leser durch die verschiedenen Zeiten seiner Familie, durch die verschiedenen Ereignisse, die die Personen zu den gebrochenen Menschen gemacht haben, die sie zu seiner Zeit sind. Obwohl er wie alle in seiner Familie ein Trauma zu bewältigen hat und sich außerdem damit abfinden muss, zu sterben, bleibt ihm seine inspirierende Stärke erhalten.

Eine tiefgehende und berührende Geschichte über die zerstörerische und heilende Kraft von Familie, die jedem zu empfehlen ist, der ein ernstes und gleichzeitig genial absurdes Buch lesen will, das einen gleichzeitig zum Lachen und zum Weinen bringen kann.

Chris Kraus: Scherbentanz.
Diogenes, Oktober 2020.
256 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Isabella M. Banger.

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