Charlotte Roth: Als wir unsterblich waren

charNovember 1989. Was unmöglich schien, geschieht. Die Mauer fällt. und in Berlin strömen Menschen aus Ost und West aufeinander zu, die ganze Stadt ist im Freudentaumel. Die Studentin Alex wird eher unfreiwillig von ihrer Freundin mitgeschleppt, sie verlieren sich im Gewühl und Alex, die Änstliche, die in Menschenmengen zu Panikattacken neigt, kippt um – direkt in die Arme eines jungen Mannes. Ist es ihr ungewöhnliches Kennenlernen oder Schicksal, aber sie können nicht voneinander lassen und schaffen sich einen Kokon der Stille in dieser turbulenten Zeit.
Alex, die bei ihrer Oma aufwächst, kann es kaum erwarten, Momi die Liebe ihres Lebens vorzustellen.

Das ist ein Teil der Geschichte, die hier erzählt wird. Der andere ist der von Paula, einer wissbegierigen Sechzehnjährigen und ihren Freunden an diesem Sommerabend des Jahres 1912. Sie wollen die Welt verändern, die Not der Arbeiter lindern, für Gerechtigkeit sorgen. Groß sind ihre Träume und Ambitionen. Dass alles anders kommt, weiß jeder Leser, der sich ein wenig mit der Vergangenheit unseres Landes beschäftigt hat und das erzeugt eine Gänsehaut. Der Kontrast zwischen der Hoffnung und den Katastrophen, die diese jungen Menschen noch vor sich haben, könnte größer nicht sein.

In abwechselnden Erzählsträngen aus Alex‘ und Paulas Perspektive rollt die Autorin siebzig Jahre deutsche Geschichte auf. In der Schule, wer erinnert sich nicht daran, war das Thema des letzten Jahrhunderts entweder langweilig dargeboten, totgeschwiegen, oder in Überdosis serviert. Wie oft fragte ich mich, warum die Weimarer Republik so gnadenlos schiefging, die Ideen klangen doch so gut anfangs. Vieles ist mir an der akribisch recherchierten politischen Situation, in der sich die Protagonisten des Romans bewegen, erst klargeworden. Und auch der Weltkrieg konnte in keinem Schulbuch den Schrecken entwickeln, den die Autorin den Leser durch die Augen der lieb gewonnenen Figuren sehen lässt.
Es wird schnell klar, dass die beiden Geschichten verwoben sind und dass Paulas Vergangenheit großen Einfluss auf Alex‘ Leben hat.
Teilweise ein Puzzlespiel wie ein Krimi mit falschen Fährten und Irrtümern, entwickelt der Roman eine knisternde Spannung.
Oft möchte man die Figuren schütteln und schreien, so redet miteinander, wenn sie sich in Sturheit ihrem eigenen Glück im Weg stehen oder der Liebe keinen Raum einräumen.
Die Einordnung des Romans in ein Genre ist nicht einfach. Halb historisch, halb zeitgenössisch, mit starken Frauenfiguren, politisch, dabei spannend und auch berührend. Vielleicht reicht dieses: Ein sehr lesenswertes, ein besonderes Buch!

Charlotte Roth: Als wir unsterblich waren.
Knaur, Mai 2014.
576 Seiten, Taschenbuch, 9,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Susanne Ruitenberg.

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2 Kommentare zu “Charlotte Roth: Als wir unsterblich waren

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