Sylvain Tesson: Auf versunkenen Wegen

Weil Sylvain Tesson betrunken glaubt, den Clown geben zu müssen, fällt er acht Meter von einem Dach. Die Folge sind schwere Knochenbrüche, darunter die Zertrümmerung des Schädels und der Wirbelsäule. Sein Leben als Geograf, Schriftsteller, Filmemacher und Reisender, häufig begleitet von viel Alkohol, scheint schlagartig ein Wende genommen zu haben. Er verbringt Wochen in Krankenhäusern, ständig überwacht. Im Gesicht behält er eine Lähmung, seine Wirbelsäule gleicht einem Schraubenlager. Als er einigermaßen wiederhergestellt in eine Reha-Klinik soll, sperrt er sich dagegen.

Tesson will weit weg und beschließt, Frankreich von Südosten an der italienischen Grenze bis an den Atlantik im Westen zu Fuß zu durchqueren. Er besorgt sich eine Karte „hyperländlicher Gebiete“, rückständig, fernab von der modernen Welt und wandert auf alten Saumpfaden, Wildwechseln, Kirchsteigen, bäuerlichen Zufahrten. Versunkenen Wegen eben. Kurze Strecken begleiten ihn hin und wieder Freunde und Gefährten, das meiste bewältigt er ganz allein.

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Katerina Gordeeva: Nimm meinen Schmerz

Erschütternde Schicksale machen den Schmerz fast greifbar – schwer erträgliches, aber ungemein wichtiges Buch

 „Aber eigentlich handelt (meine Geschichte) nicht von mir. Sie handelt von den Menschen. Manche verwandelt der Krieg schnell zu Bestien. Ich habe solche gesehen: Man gibt ihnen eine Waffe, und sie verlieren sofort alles Menschliche. Verlieren ihr Gewissen und Mitgefühl. Ich habe gesehen, wie schnell das geht.“ (S. 71).

Solche Geschichten, von Menschen, Frauen, Männern, Kindern, im Krieg erzählt die Journalistin Katerina Gordeeva. Oder vielmehr sie lässt diese Menschen ihre Geschichten erzählen, sie hört zu, stellt manchmal Fragen, manchmal fehlen ihr aber auch die Worte. Und manchmal möchten die Ukrainerinnen gerade mit ihr nicht sprechen, denn Katerina Gordeeva ist Russin.

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Sebastian Huncke, Simone Paganini: Wer zur Hölle ist der Teufel?

Wenn draußen die hellen Tage dunklen Nächten weichen und in Österreich der Nikolo von seinem Gefährten „Krampus“ begleitet an die Türen klopft, kann man sich schon fragen „Wer zur Hölle ist der Teufel?“. Denn allem Anschein nach ist er ein Teufel, der Krampus, mit seinen Hörnern, dem schwarzen Fell, mit Kettengerassel und schauderhaftem Gebrüll. Woher kommt diese dunkle Gestalt? Der erste Nachweis für Dämonen und „Teufelsfiguren“ stammt  aus dem Nahen Osten und diese Kreaturen sind – man höre und staune – weiblich. Es handelt sich oft um Mensch-Tier-Mischwesen, ausgestattet mit unwiderstehlichen sexuellen Reizen. In allen Kulturen ist Verführung eine teuflische Eigenschaft.

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Johannes Plagemann, Henrik Maihack: Wir sind nicht alle

Das Buch „Wir sind nicht alle. Der Globale Süden und die Ignoranz des Westens“ hat sich für mich langsam gelesen. Aber nicht, weil es nicht absolut spannend und wichtig wäre, sondern weil es eben kein Roman ist und mit Themen umgeht, denen ich in meinem Alltag selten begegne. Es geht vor allem um Politik und Wirtschaft. Aber nicht einer von Deutschland ausgehenden Politik und Wirtschaft, sondern einer, die sich vor allem in den und aus dem Globalen Süden entwickelt.

Die Autoren Johannes Plagemann und Henrik Maihack, Politikwissenschaftler, die selbst lange Zeit in Ländern des Globalen Südens verbracht haben, schaffen es selbst für unerfahrene Lesende einen Bogen zu spannen, der erklärt, wieso der Westen für den Globalen Süden an Wert verliert und andere Interessen Einfluss auf Länder z.B. in Afrika oder Asien nehmen.

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Sylvain Tesson: Weiß

Der französische Schriftsteller Sylvain Tesson (Jahrgang 1972) hat Geographie studiert und an mehreren Expeditionen teilgenommen. 2019 erschien sein Reisebericht „Der Schneeleopard“ und wurde zum Bestseller. Nun hat der Rowohlt Verlag am 14. November 2023 unter dem Titel „Weiß“ Tessons nächstes Abenteuer veröffentlicht. Nicola Denis hat es aus dem Französischen übersetzt.

Drei Männer und ein Abenteuer

Von 2018 bis 2021 hat Sylvain Tesson gemeinsam mit dem Bergführer Daniel du Lac und später dem Ingenieur Philippe Rémoville die Alpen von West nach Ost auf Skiern gequert. Los geht es im März 2018 in Menton, Frankreich. Im April 2021 kommen sie in Triest, Italien, an. Vier Jahre lang in jedem Spätwinter schnallten Tesson und seine Begleiter die Skier an und bewältigten ca. 1600 Kilometer durch die Berge.

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Annie Proulx: Moorland

Zwischen Essays & Abschweifungen: Proulx‘ „Moorland“ unter der Lupe

„Wir erkennen die langsamen Metamorphosen der Natur nicht, weil wir uns von ihr gelöst haben, abgesehen vom jährlichen Urlaub, vielleicht einer Fahrt in einen Nationalpark oder einer »Naturerlebnis«-Kreuzfahrt nach Galapagos oder in die Antarktis, wo unser kurzer Aufenthalt den Lebensraum weiter schädigt.“ (S. 20)

Das Buch ist optisch und haptisch wirklich bemerkenswert schön. Auch der Inhalt schimmert für mich voller poetischer und abwechslungsreicher Highlights: Das Gefühl an einem nebligen Sommermorgen, wenn wir in der Natur Wassertropfen verzierte Spinnennetze sehen.

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Ulrike Fuchs: Reporterin für eine bessere Welt: Nellie Bly

Die üblichen Frauenthemen – Mode, Küche, Kinder, Familie – das ist nicht das, worüber Nellie Bly ein Leben lang schreiben möchte. Sie ist Reporterin beim „Pittsburgh Dispatch“, eine der ganz wenigen Frauen überhaupt, die Ende des 19. Jahrhunderts überhaupt als Reporterin arbeiten können. Wie in anderen Bereichen auch, werden Frauen in der Presse einfach nicht ernst genommen. Die Chefredakteure der Zeitungen nehmen einfach lieber Männer, selbst wenn sie nicht so gut sein sollten wie eine Frau, die sich auch auf die Stelle beworben hat.

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Rita Klaus: Tatsächlich Transsilvanien

Die Familie Klaus besteht aus Vater, Mutter, drei Söhnen und einer Tochter. Sie wohnten in der Nähe der Zugspitze, wo sie regelmäßig von unzähligen Touristen umgeben waren. Wer in einem typischen Urlaubsgebiet wohnt, weiß, was es genau bedeutet, wenn jeder da sein möchte, wo es schön ist. Und weil Rita und Jürgen Klaus für ihre Arbeit nur einen Computer mit Internetzugang benötigen, entstand der Wunsch, mit ihren Kindern ein Jahr lang die Welt zu bereisen. Doch leider spielte das Schulsystem nicht mit. Auf die Bewilligung ihres Antrages würden sie vermutlich ewig warten müssen. Und dann kam der Hinweis, falls die Familie Klaus sich in Deutschland abmelden sollte, müsse sie sich auch nicht an die Schulpflicht halten.

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Daniel Schulz: Ich höre keine Sirenen mehr

Sehr persönliche Eindrücke aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine

Daniel Schulz ist ein mehrfach preisgekrönter Journalist der Zeitung taz. Er bereiste wiederholt die Ukraine, schon 2016 und 2018, als er unter anderem für die ukrainische Zeitung Kyiv Post arbeitete und schon damals vom Krieg im Donbass berichtete, als dieser hier noch kaum Aufmerksamkeit fand.

Nachdem im Februar 2022 der Angriffskrieg Russlands begann, reiste der Autor erneut in die Ukraine. Er traf alte und neue Bekannte, beobachtete Freiwillige bei ihrer Arbeit für die Soldaten und die Zivilbevölkerung. Er begleitete Transporte, die mit Medikamenten und Lebensmitteln in die von Russland besetzten Gebiete fuhren, er begab sich in die Orte, die von den Ukrainern zurückerobert worden waren und sah, was dort geschehen und was das mit den Menschen dort gemacht hatte.

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David Goggins: Can’t Hurt Me

Du weißt, über dieses Buch ist schon viel geschrieben worden. Gerade deshalb möchte ich angesichts der überschwänglichen Lesebegeisterung anderer meine kritische Perspektive hinzufügen.

Doch starten wir ganz am Anfang.

Schon nach wenigen Zeilen geschah etwas völlig Unerwartetes: Das Buch saugte mich förmlich ein, verschlang mich mit Haut und Haaren. Es verschmolz mit mir, wie ein Strudel, der sich meiner Seele einverleibte. Was für ein grandioser Schreibstil, der nicht nur cool ist, sondern auch emotional tief berührend.

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