Irene Vallejo: Elyssa, Königin von Karthago

Aeneas ist nach der Ilias und der Odyssee (beide werden Homer zugeschrieben) das wohl drittwichtigste Epos der antiken Mythologie. Geschaffen wurde das Werk von dem römischen Autor Vergil. Auf den titelgebenden Held Aeneas geht die Gründung des Römischen Reichs zurück. So weit, so gut. Wie der Name vermuten lässt, liegt die Perspektive ganz auf der männlichen Hauptfigur. Die spanische Autorin Irene Vellejo rückt in ihrem Werk eine Herrscherin der Aeneas-Sage in den Vordergrund, die es in puncto Bedeutung locker mit Aeneas aufnehmen kann: Elyssa, Gründerin und Königin von Karthago. Warum hat es diese nicht zu derartigem Weltruhm gebracht? Wie so oft, ereilt Herrscherinnen in der antiken Mythologie ein viel zu frühes, tragisches Ende. Irene Vellejo mag am Tod Elyssas nichts ändern, stellt aber bewährte Rollenklischees auf den Kopf. Dafür bedient sie sich einiger Stilmittel, wie ungewöhnlichen Erzählperspektiven und der Verschmelzung von Zeitebenen.

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Julie Heiland: Schicksalsjahre: Die Frauen vom Neumarkt  

Zwei Frauen, zwei spannende Zeitpunkte in der jüngeren Geschichte, erzählt in zwei Zeitebenen. Ein gut geschriebener, emotionaler Roman, der zwei wichtige Abschnitte der jüngeren deutschen Geschichte durch die Geschichte dreier Frauen verbindet. Lotte, Hannah und später auch Marlene.
Erzählt wird in parallelen Strängen, zunächst nur aus der Sicht von Hannah und Lotte, später – allerdings erst gegen Ende des Romans– auch aus der Sicht von Marlene, Hannahs Mutter.

Hannah, eine junge Archäologin, arbeitet Anfang der 1990-er Jahre mit am Wiederaufbau der Dresdener Frauenkirche. Dabei findet sie ein Foto, auf dem eine junge Frau und ein junger Mann zu sehen sind, die sich anscheinend recht nahestehen. Das Foto ist für Hannah fast wie ein Schock. Die junge Frau hat eine verblüffende Ähnlichkeit mit ihrer Mutter. Könnte es ihre Großmutter sein, von der sie nichts weiß und zu der sie nie Kontakt hatte, weil ihre Mutter jede Verbindung schon vor Jahren gekappt hat? Das lässt Hannah nicht mehr los, sie beginnt nachzuforschen, wer die Frau auf dem Foto ist und wo sie jetzt wohl lebt. Und falls es wirklich ihre Großmutter ist, will sie endlich auch erfahren, warum sie keinen Kontakt zu ihrer Tochter und Enkelin hat.

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Lilly Bernstein: Sturmmädchen

Die Freundinnen Elli, Margot und Käthe schwören sich am Perlbach, eine für alle, alle für eine. Doch im Laufe der nächsten Jahre verändert sich ihr Leben. Aus den Schulmädchen sind junge Frauen geworden, die ihren Platz noch finden müssen. Während Elli mit ihrer Mutter in einer kleinen Kate auf dem Hof des reichsten Bauern der Umgebung lebt, muss Käthe in der Fabrik arbeiten und ihren Eltern dabei helfen, ihre notleidende Familie durchzubringen. Nur bei Margot scheint es gut zu laufen. Sie heiratet und will mit ihrem Mann den florierenden Familienbetrieb in Aachen weiterführen.

Die eigentliche Geschichte der drei jungen Frauen beginnt im Oktober 1938 und endet im Mai 1940. Es ist eine Zeit, in der die Nationalsozialisten mit brachialen Methoden das gesellschaftliche Miteinander auch in der verarmten Eifel nach ihren Regeln festlegen. Elli ist schockiert, als eine geistig behinderte Frau aus ihrem Dorf abgeholt wird und nach dem „Hitlerschnitt“, der zwangsweisen Sterilisation, stirbt. Diese Umstände passen nicht zu ihrem Menschenbild. Auch Margot und ihre Eltern erleben Sanktionen, weil sie Juden sind. Als Elli endlich das Ausmaß der Gefahren erkennt, dem ihre inzwischen schwangere Freundin und deren Eltern ausgesetzt sind, riskiert sie für eine Rettungsaktion ihr eigenes Leben, das ihrer Mutter und der heimlichen Helfer.

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Lea Kampe: Beelitz Heilstätten

Erst in den 60-er Jahren wurde ein wirklicher medizinischer Fortschritt erreicht, was die Heilungschancen von Tuberkulose-Erkrankten betrifft. Ein wirksames Antibiotikum, das zuvor 1943 Hoffnungen gemacht hatte, hatte sich nur wenig später als nicht hilfreich erwiesen, da die für die Tuberkulose verantwortlichen Bakterien schnell eine Resistenz entwickelten.

Die Beelitz-Heilstätten, rund 40 Kilometer vor Berlin, waren in dieser Zeit in Deutschland eine der größten und modernsten Anlagen, in der Tuberkulose-Patienten behandelt wurden. Ohne Ansehen der Person wurden die Kranken in diesem Sanatorium nach den damals höchsten Standards und neuesten Erkenntnissen– mit reichhaltiger Ernährung, viel Ruhe und intensiver Pflege – behandelt. Im Nationalsozialismus wurde das mehr und mehr zum Problem. Die neuen Gesetze und Erlasse machten es den Verantwortlichen in Beelitz zunehmend schwer, die Kranken weiter nach ihren Vorstellungen zu behandeln. Schwer Erkrankte, die möglicherweise auch an einer Erbkrankheit litten, was lange Zeit auch für Tuberkulose angenommen wurde, sollten isoliert werden und so die Gefahr einer Ansteckung anderer Personen verringert werden.

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Percival Everett: James

Eindringliche Neuinterpretation vs. Missing Link zu authentischen Sprachwelten

Mit Percival Everetts „James“ entsteht eine eindringliche Neuinterpretation von Mark Twains amerikanischem Literaturklassiker „Die Abenteuer des Huckleberry Finn“. Diese Version erzählt die Geschichte aus der Perspektive von Jim, einem versklavten afroamerikanischen Charakter, der im Missouri der 1840er Jahre lebt.

Die Figur Jim und die Story fungieren als Symbol für individuelle Freiheit, moralische Integrität und Freundschaft, und stellen die gesellschaftlichen Vorurteile dieser Zeit infrage. Es gibt sogar Momente der Rache und Vergeltung, die an Szenen aus „Django Unchained“ erinnern.

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Marie Pierre: Töchter des Aufbruchs

Pensionate, in denen den sogenannten „höheren Töchtern“ eine fundierte Ausbildung und Vorbereitung auf ihre Zukunft als Ehefrau, Mutter und Vorstand eines Haushalts vermittelt wurde, gab es sicher reichlich in der Kaiserzeit. Eines wie das, das wir in diesem ersten Band einer Trilogie um das Pensionat an der Mosel, genauer in Diedenhofen – heute wieder Thionville – kennenlernen, bestimmt nicht so zahlreich. Schulleiterin Pauline Martin möchte ihren Schülerinnen nämlich einiges mehr vermitteln als gepflegte Konversation, ein bisschen Lektüre, Handarbeiten oder Klavier spielen. Sie, als Französin, mit klaren Vorstellungen und einem gesunden Selbstbewusstsein hat es eh nicht leicht in der preußischen Region Elsass-Lothringen um 1910.

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Shelly Kupferberg: Isidor

Er war ein Lebemann und Schöngeist, erfolgreich, charismatisch, den angenehmen Dingen des Lebens zugetan. Aus einem konservativen jüdischen Dorf im Hinterland Galiziens hat sich Isidor Geller als Kommerzialrat an die Spitze der Wiener Gesellschaft hochgearbeitet. Seinen wirklichen Vornamen Israel hat er abgelegt. Vermeintlich geschützt durch Renommee und Reichtum, glaubt er, dass diese aufkommenden Nationalsozialisten ihm nichts anhaben können. Eine fatale Fehleinschätzung. Die in Berlin lebende Journalistin und Moderation Shelly Kupferberg zeichnet anhand von Briefen, Archivrecherchen und Besuchen in Wien den Werdegang ihres Urgroßonkels nach. Herausgekommen ist eine ergreifende Familiengeschichte. Sie stellt Schritt für Schritt die Ausgrenzung, den Abstieg und die Entrechtung der Juden dar bis hin zu Deportation und Tod.

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Killen McNeill: Lore und die letzten Tage

Romane, die in den 1950-er oder 1960-er Jahren spielen, sind gerade sehr modern. „Lore und die letzten Tage“ von Killen McNeill reiht sich in diese Texte ein.

2022 ist Lore Jungkunz 92 Jahre alt. Anlässlich einer Gedenkfeier für Opfer der letzten Kriegstage kommen Erinnerungen an die Jahre 1944 und 1945 in ihr hoch. Lore wohnt damals mit Mutter und Großmutter in Nürnberg. Sie wird als Erntehelferin zum Bauernpaar Waigandtnach Seilar abkommandiert, einem idyllischen Bauerndörfchen, von Nürnberg aus mit dem Zug erreichbar. Die Weigandts schließen die tüchtige Lore, die sich kein Blatt vor den Mund nimmt, schnell ins Herz. In Seilar begegnet Lore auch dem Hitlerjungen Anton.

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Hallgrímur Helgason: 60 Kilo Kinnhaken

Es ist die wohl lustigste Defloration der Literaturgeschichte: Wie der 19-jährige Gestur zu Beginn des 20. Jahrhunderts während der uralten Sitte des „Trockenlegens“ seine Unschuld verliert, ist eines der witzigsten Highlights in diesem 670 Seiten starken Roman! Überhaupt ist der Titelheld aus „60 Kilo Sonnenschein“, dem ersten Band von Helgasons historischer Islandromanreihe, erwachsen geworden. Zumindest auf körperlicher Ebene. Er hat einen regelrechten Lauf bei Frauen, wenngleich nicht jede Liebschaft ein glückliches Ende nimmt.

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Axel Melzener, Julia Nika Neviandt: Schatten über Colonia

Colonia, Confluentes, Durocortorum, Mogontiacum, Lutetia oder AquaeGranni – sind Sie noch bei mir? Die vielen lateinischen Begriffe, wie hier die Namen einiger Städte, machen es ein bisschen schwierig, diesen sonst echt gut geschriebenen, interessanten und durchaus spannenden historischen Krimi nicht gleich wieder aus der Hand zu legen. Wohl dem, der auf (vielleicht nur) rudimentäre Latein-Kenntnisse aus vergangenen Schulzeiten zurückgreifen kann!

Wer das nicht kann, dem hilft ein umfangreiches Glossar am Ende des Buches. Von „ad bestiam“ – eine schwere Strafe für Verbrechen im römischen Justizsystem, über Cena, Centurio, Cervisia, Dekurionen, Liktoren, Medicus, Ornatrix bis zu pro bono oder Zwölftafelgesetz werden hier wichtige Begriffe, die im Text immer wieder auftauchen erklärt. Das ist zwar ein bisschen lästig, wenn man dauernd nachschlagen muss, aber manche Begriffe erklären sich ja im Zusammenhang auch selbst, andere werden von den Autoren im Nebensatz erklärt – man gewöhnt sich.

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