Carmen Maria Machado: Das Archiv der Träume

Das Traumhaus steht in Bloomington, Indiana, am Rande der Stadt, am Rande einer Wiese, neben dem Wald. Das Traumhaus ist Liebe, ist Leidenschaft, Glück, ist Vorwurf, Schuldzuweisung, Drohung. Es ist ihr Haus, sie hat es bezogen und nie richtig eingeräumt. Sie hat Liebe gegeben und Demütigungen, war zärtlich und unberechenbar.

Die amerikanische Autorin Carmen Maria Machado erzählt ihre eigene Geschichte. Erzählt von ihrer Beziehung zur Frau aus dem Traumhaus, welche zum Albtraum wurde. Diese Frau wird nie mit Namen genannt, sie ist immer nur „sie“. Sie ist schön, wirkt zerbrechlich und stark, sie ist die Traumfrau und ihre Liebe ist wie ein Wunder. Am Anfang besteht das Leben aus Lachen, gutem Sex und Leichtigkeit. Der Abgrund öffnet sich nur langsam, ist zunächst ein schmaler Spalt, über den sich mühelos springen lässt. Es gibt Streit, Eifersüchteleien, Kontrollversuche, später Hasstiraden, Beschimpfungen, manchmal Zärtlichkeiten.  Am Ende ist der Abgrund unüberbrückbar und lockt mit einem Sog aus Schuldgefühlen und Vermeidungsstrategien.

Die Geschichte wechselt beständig zwischen zwei Erzählperspektiven. Die Ich-Erzählerin schreibt über ihre Kindheit, über ihr Leben vor dem Traumhaus und über queere Beziehungen allgemein, vor allem über Gewalt zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern und die Schwierigkeit, Berichte darüber zu finden. Für die Beschreibung zerstörerischen Liebe braucht es mehr Abstand, die Erzählerin geht zum „du“ über, trennt sich damit vom Geschehen. Sie formuliert zu Beginn des Romans deutlich die beiden Seiten ihres „Ich“ – die mutige, abenteuerlustige und die verängstigte, verzagte. Es ist der Versuch, sich selbst zu erklären, was geschehen ist und wie es geschehen konnte. Die Distanz erlaubt den sachlichen Blick und humorvolle Selbstkritik.

Der Roman wird linear erzählt und auch wieder nicht. Er besteht aus Kurz- und Kürzestabschnitten, aus Momentaufnahmen und Facetten, aufgereiht wie auf einer Perlenkette, jeder einen besonderen Aspekt beleuchtend, zusammengefügt zu einem vielschichtigen Bild. Dabei gelingt es der Autorin, Kategorisierungen aufzuweichen und eingefahrene Denkmuster in Frage zu stellen.

Ich spüre, welche Kraft es gekostet hat, das Erlebte aufzuschreiben. Ich spüre auch, wie befreiend es war, diese Erlebnisse mitzuteilen. Vor allem aber hat Carmen Maria Machado mit diesem wunderbaren Buch dem Archiv unseres Wissens eine wichtige Seite hinzugefügt. Das ist, davon bin ich überzeugt, das Beste, was Literatur zu leisten vermag.

Carmen Maria Machado: Das Archiv der Träume.
Aus dem Englischen übersetzt von Anna-Nina Kroll.
Tropen, Oktober 2021.
336 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.

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