Bernhard Schlink: Olga

Außergewöhnliche Liebesgeschichte, hervorragende Charakterstudie und ein gelungenes Gesellschaftsporträt: Bernhard Schlink hat in diesem Roman wieder zum großen Wurf ausgeholt. Wie schon in seinem Weltbesteller „Der Vorleser“ bleibt die Liebe hier so leidenschaftlich wie unerfüllt. Es geht um die Sehnsüchte von Menschen, die andere Wege einschlagen, als der Rest ihrer Zeit. Auch die ersten Triebe des beginnenden Faschismus, der sogar in guten, „aufrechten“ Menschen Wurzeln fasst, werden meisterlich dargestellt. Olga hat das Zeug, zu einer der ganz großen Frauenfiguren der Weltliteratur aufzusteigen.

Herbert ist ein Junge, der viel rennt. Olga ist ein Mädchen, das gerne dasteht und zuschaut. Sie lernen sich als Kinder kennen. Nach dem Tod der Eltern wird Olga Ende des 19. Jahrhunderts von Breslau zur Großmutter aufs Land nach Pommern gebracht. Dort lebt Herbert mit seiner Schwester Viktoria in herrschaftlichen Verhältnissen. Seinen Eltern gehört ein großer Gutshof samt Fabrik. Trotz unterschiedlicher Herkunft werden die Drei zu Freunden. Doch als die Heranwachsenden Gefühle füreinander entwickeln, wird ihr Standesunterschied zum Problem. Viktoria besucht mittlerweile ein Internat, verkehrt unter Ihresgleichen und findet Olga als Schwägerin nicht mehr standesgemäß. Auch die Eltern sind mit der Verbindung nicht einverstanden und drohen, Herbert zu enterben.

Aber es sind nicht nur die äußeren Umstände, die einen Keil zwischen das Paar treiben. Herbert, der Dauerläufer, kann im Leben nicht stillstehen. Es drängt ihn zu Abenteuern. Er kämpft gegen die Herero in Deutsch-Südwestafrika, erkundet exotische Länder in Südamerika, will gar in einer Expedition gen Nordpol aufbrechen. Olga wird, obwohl sie aus ärmlichen Verhältnissen stammt und selbst nie die Höhere Töchterschule besucht hat, zur Lehrerin mit Leib und Seele.

Beide widersetzen sich den Zwängen der Zeit. Herbert verweigert sein Erbe und zieht in die Ferne. Olga wird zu einer modernen, gebildeten, finanziell unabhängigen Frau. Ihnen bleibt eine Liebe auf Zeit, auf Raten. Sie treffen sich heimlich, lieben sich in den Wäldern, überbrücken ihre Trennung mit Briefeschreiben.

Ihre Liebe ist zum Scheitern verurteilt. Es mag absurd klingen – doch dies ist auch gut so. Denn Olga ist ein derart starker Charakter, der es nicht verdient hat, in einer herkömmlichen Ehe unterzugehen. Zum Beispiel hätte sie ihren Lehramtsposten, wie damals üblich, nach der Hochzeit aufgeben müssen. Olga geht ihren Weg, auch ohne Mann an ihrer Seite. Sie bleibt sich selbst treu. Gerade im Hinblick auf die unterschiedliche politische Gesinnung von Herbert und Olga ein großer Vorteil. Denn Herbert träumt von einem Großdeutschen Reich und sieht auf die Schwarzen hinab. Einem „Menschenschlag, der noch auf tiefster Kulturstufe steht.“ Olga hingegen verachtet alles Großherrschaftliche und weigert sich später unter den Nazis sogar, Rassenlehre zu unterrichten.

Auch auf stilistischer Ebene ist Bernhard Schlink eine einzigartige Charakterdarstellung gelungen. Die Figur der Olga kommt uns immer näher, entwickelt einen regelrechten Sog. Wie das? Der Autor spielt mit Perspektiven. Zunächst ist Olga eine Person, die wir beobachten, plötzlich befinden wir uns an ihrer Seite, letztendlich landen wir in ihrem Kopf. Dafür bedient sich Schlink eines literarischen Kunstgriffes. Sein Roman ist dreigeteilt.

Im ersten Teil erfahren wir von den Ereignissen aus Sicht eines auktorialen Erzählers. Im zweiten Teil kommt Ferdinand zu Wort, für dessen Familie Olga nach dem Zweiten Weltkrieg als Näherin arbeitet. Für ihn wird Olga zu einer Art Ersatzmutter, er gibt ihre Erzählungen und Verhaltensweisen aus seiner Sicht wieder. Fasziniert von der Liebesgeschichte, macht er sich auf die Suche nach Olgas Briefen, die sie jahrelang postlagernd an Herbert geschickt hat. Der dritte Teil besteht aus der Aneinanderreihung dieser Briefe. Dabei kommen zwei Geheimnisse zu Tage, welche das bisher Gelesene in neuem Licht erscheinen lassen. Die Protagonistin wird vollends greifbar, fühlbar, rundet sich zu einem stimmigen Ganzen.

Bernhard Schlink hat gut daran getan, seinen Roman nach der Hauptfigur zu benennen. Olga ist dafür prädestiniert, in die Riege der großen Frauenfiguren der Weltliteratur aufzusteigen. Der Roman ist wiederum dafür prädestiniert, von Hollywood verfilmt zu werden. Kate Winslet kann sich bereits den Dutt zurechtrücken.

Bernhard Schlink: Olga.
Diogenes, Januar 2018.
320 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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