Bernard Cornwell: Narren und Sterbliche

Wer hätte erwartet, dass Bernard Cornwell einmal einen Roman über William Shakespeare schreibt? Für mich ist das jedenfalls eine der positivsten Überraschungen des Jahres.

Bisher ist Cornwell vor allem für historische Romane bekannt, die von Kriegern und Kämpfern handeln. So spielt die Uhtred-Saga im tiefsten Mittelalter und erzählt vor dem Hintergrund der Entstehung des heutigen England von einem Krieger, der um sein rechtmäßiges Erbe kämpft. Die wohl noch bekanntere Sharpe-Serie des Autors wiederum begleitet den britischen Soldaten Sharpe in die kriegerischen Auseinandersetzungen zur Zeit Napoleons. Sehr gute und spannenden Romane, die zeigen, dass Cornwell ein erstklassiger Autor ist. Alle leben aber auch davon, dass er es hervorragend versteht, Kämpfe und Schlachten ausgesprochen realistisch zu schildern.

‚Narren und Sterbliche‘ ist ganz anderes. Hier gibt es keine Kämpfe. Hier gibt es keine Krieger und auch keine sonstigen dramatischen Auseinandersetzungen. Es geht vielmehr um die Entstehung des Theaters, die Ende des 16. Jahrhunderts begann. Zur Zeit Shakespeares wurden in London die ersten festen Schauspielhäuser gegründet, aus denen sich im Laufe der Zeit das entwickelte, was wir heute kennen, wenn wir ‚ins Theater‘ gehen.

Protagonist des Romans ist Shakespeares wohl fiktiver Bruder Richard, der Mitglied im Ensemble von Shakespeares Schauspieltruppe ist. Er steht bei seinem damals schon bekannten Bruder nicht sonderlich hoch im Kurs und muss immer Frauenrollen spielen. (Damals war es Frauen nicht gestattet, in Theaterstücken aufzutreten, weshalb ihre Rollen von Männern gespielt werden mussten.) Männerrollen werden ihm versagt und er kann mit seinem geringen Lohn nur mühsam sein Leben fristen.

Doch auch das Ensemble um William Shakespeare muss ums Überleben kämpfen. Die ständige Überwachung durch die Puritaner, die Konkurrenz weiterer Theater und der ständige Kampf um die Gunst der Zuschauer, der nicht immer mit fairen Mitteln ausgefochten wird, machen es nicht leicht. Um den Zuschauern Abwechslung zu bieten ist zudem der Bedarf an neuen und guten Stücken groß. Aber die Truppe um William Shakespeare hat zumindest dieses Problem nicht. ‚Ein Sommernachtstraum‘ wird gerade von der Truppe einstudiert und soll bei eine adligen Hochzeit aufgeführt werden. Ein anderes Werk, ‚Romeo und Julia‘, ist gerade erst entstanden und existiert als Manuskript.

Als eines Tages die Truhe, in der die Stücke verwahrt werden, aufgebrochen und leer vorgefunden wird, bricht für Shakespeare die Welt zusammen. Es gibt keine zweiten Fassungen. Doch dann ergreift Richard seine Chance und macht sich auf, den Dieb ausfindig zu machen. Dabei begibt er sich aber in eine größere Gefahr, als er dachte …

Das Buch ist spannend und enthält durchaus einige Zutaten eines Kriminalromans. Doch das würde ich lediglich als eine zusätzliche Würze an einem ohnehin schon außerordentlich schmackhaften Gericht bezeichnen. Denn die Art und Weise, wie Cornwell die Schauspieler und deren Leben beschreibt ist für sich genommen schon großartig. Es gelingt ihm hervorragend, den Leser in das London der damaligen Zeit hineinzuziehen. In einigen Szenen ist man dabei, wie die Truppe ein Schauspiel in Anwesenheit von Königin Elisabeth I. aufführt. Dann wiederum erlebt man das Leben auf der Straße und in den Kneipen. Man fühlt mit, wie sehr die Schauspieler an ihrem Beruf hängen und ist dabei, wenn Will Kemp seine Rolle wieder einmal übertreibt, um sich selbst hervorzuheben oder George Bryan vor Lampenfieber beinahe umkommt, nur um dann voller Selbstbewusstsein auf der Bühne zu stehen.

‚Narren und Sterbliche‘ hat mich völlig in diese für mich bislang fremde Welt hineingezogen und es mir ermöglicht, für einen Weile unter Schauspielern zur Zeit Shakespeares zu leben. Und ein wenig hatte ich sogar das Gefühl, ihn selbst dabei ein wenig kennenzulernen.

Trotz meiner Begeisterung gerade für die Uhtred-Romane, muss ich zugeben, dass ich Cornwell das nicht zugetraut hätte. ‚Narren und Sterbliche‘ ist ein wirklich großartiger Roman, der mich absolut begeistert hat.

Bernhard Cornwell: Narren und Sterbliche.
Wunderlich, Juli 2018.
512 Seiten, Gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Christian Rautmann.

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