Ben Smith: Dahinter das offene Meer

Schon nach den ersten Zeilen wusste ich, woran mich der Roman erinnerte:  „Die Straße“ von Cormac McCarthy. Ich schrieb damals (2007): „Gäbe es einen Oscar für die düstersten Endzeit – Geschichten, Cormac McCarthy hätte bisher nicht nur einen geschnappt. Dieses Drama, im wahrsten Sinne des Wortes, ist ein Kammerspiel, welches dermaßen unter die Haut geht, dass man jederzeit anfängt zu frieren, wenn man an das Buch denkt“. In „Die Straße“ geht es um einen Vater mit seinem Sohn, der in einer, von was auch immer, verlorenen Welt, ihren Weg gehen. Und schließlich ankommen an einem finsteren Strand, am offenen Meer.  Und im vorliegendem Roman haben wir ein ähnliches Ausgangsszenario: man weiß nie wirklich was mit der Welt gelaufen ist, ob es der Klimawandel oder eine sonstige weitere Verrohung der Menschheit war, was die beiden Protagonisten zwingt, in diesem dystopischen System von tausenden, kaum noch funktionierenden Windrädern, ihren Job zu machen.

Es spielen mit: „der Alte“ und „der Junge“. In diesem gigantischen Offshore Windpark haben sie die Aufgabe, die Systeme, bzw. die Rotoren und Maschinen zu  warten. Man erfährt allerdings nie, für wen der Strom noch produziert wird. Es ist ein jahrelanges Drama, im Roman zwei Mal unterbrochen von einem surrealen „Versorgungsschiff“, welches in nicht zu bemessenden Abständen Lebensmittelkonserven bringt, wobei der Schiffsführer gleichzeitig einen ominösen Handel mit technischen –  oder sonstigen Abfallprodukten aus dem Windpark, betreibt. Der Junge will aber weg, es hat eine Ahnung von einem Boot, welches sein Vater, längst verschollen, irgendwo an einem der zigtausend Windradbetonblocks vertäut hat. Er ahnt, dass sein Vater zur „Küste“ wollte. (Gibt es noch eine?) Über allem liegt ein ständiger Sturm, manchmal mit zerstörerischer Wut und darunter ein totes, aufgewühltes Plastikmeer, ohne Fische oder sonstigem Leben.

Trotz aller finalen Schluckbeschwerden,  bleibt das Buch spannend zu lesen, weil man die ganze Zeit wissen will, was zu dieser Finsternis geführt hat. Spannend auch das belauern der beiden, der Alte und der Junge. Aufeinander angewiesen, manchmal sogar wetten und spielen, aber Misstrauen überwiegt. Der Alte kannte ja auch den Vater des Jungen. Und es bleibt ein Geheimnis, was mit dem Vater passierte. Wie gesagt, ein düsteres Kammerspiel. Ein metaphorisches Endzeitdrama, denn der riesige Windpark im offenen Meer wirkt als Beispiel einer zwar hochtechnisierten – aber soziokulturell noch steinzeitverhafteten Welt.

Ben Smith: Dahinter das offene Meer.
Liebeskind, Februar 2020.
256 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Fred Ape.

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