Barbara Pym: In feiner Gesellschaft (1961)

Eskapismus der schönsten britischen Art: Pyms Roman ist nicht nur bestens dafür geeignet, dem Corona- und Winterblues zu entfliehen. Auch Pyms Protagonisten verstehen es vortrefflich, sich von ihren Problemen auf ebenso elegante wie amüsante Art abzulenken. Die einen engagieren sich in der Gemeinde, die anderen flüchten ans Meer, die dritten stecken ihre Nase in Dinge, die sie nichts angehen. Zu letzteren gehört Protagonistin Dulcie Mainwaring. Als unverheiratete Frau Anfang Dreißig im London der 1950er Jahre scheint ihr ein Schicksal als „alte Jungfer“ so gut wie sicher. Daher beschäftigt sie sich lieber mit den Fehltritten und Familienskandalen ihrer Bekannten. Merke: Die Liebesprobleme anderer Leute sind das beste Mittel, um sich nicht mit den eigenen auseinanderzusetzen zu müssen!

Die herzensgute, stets auf Harmonie bedachte Dulcie Mainwaring liebt Kostüme in gedeckten Braun- und Grautönen und ist eher unauffälliger Natur. Sie lebt alleine im viel zu großen Haus ihrer verstorbenen Eltern in einem ländlichen Vorort Londons. Ihr Auskommen verdient sie mit der Recherche für Register sowie dem Redigieren wissenschaftlicher Fachliteratur. Von ihrem Verlobten Maurice wurde sie verlassen. Was also tun mit der vielen freien Zeit, um nicht in Grübeleien zu verfallen? Lösung: Man besuche einen Fachkongress der Verlagsbranche! Eine ideale Gelegenheit, um interessante Menschen kennen zu lernen. Dulcie hat Glück: Sie lernt gleich zwei davon kennen. Zum einen ihre Zimmernachbarin Viola, eine exzentrische, chaotische Person. Zum anderen den Redner Aylwin Forbes, ebenso attraktiv wie intelligent. Dulcie ist augenblicklich von ihm fasziniert. Noch dazu stellt sich heraus, dass Viola mit Aylwin zusammengearbeitet und dabei die Grenzen der Geschäftsbeziehung überschritten hat, obwohl Aylwin verheiratet ist. Nun ist es um Dulcie geschehen: Sie beginnt Nachforschungen über den Verleger anzustellen, die nahezu unter den Bereich „Stalking“ fallen. Zumal sein Umfeld ihr ebenso interessant erscheint: Da sind seine viel zu junge Ehefrau Marjorie sowie Aylwins ebenso ansehnlicher Bruder Neville, ein Priester, der vor einem verliebten Gemeindemitglied auf der Flucht ist.

Zurück in London kommt Schwung in Dulcies Junggesellinnendasein. Weil Viola mit der Miete im Rückstand ist, bietet ihr Dulcie an, bei ihr einzuziehen. Als weitere Mitbewohnerin gesellt sich Dulcies 18-jährige Nichte Laurel hinzu, die in London eine Sekretärinnenschule besuchen will. In erster Linie möchte sie jedoch die Vergnügungen der Großstadt auskosten.

Das ungleiche Damentrio bietet den idealen Nährboden für komplizierte Liebesverflechtungen. Nach einem gemeinsamen Abendessen mit Aylwin und Dulcies Ex-Verlobtem Maurice wird ersichtlich: Aylwin kann nicht mit alten Lastern brechen. Sprich mit seiner Vorliebe für wesentlich jüngere Frauen. Offensichtlich hat er ein Auge auf die schöne Laurel geworfen, sehr zum Verdruss von Dulcie und Viola. Letztere scheint wiederum von Maurice angetan zu sein. Und Dulcie? Sie stellt Nachforschungen an, tröstet, schlichtet – und scheint am Ende leer auszugehen. Oder doch nicht?

Barbara Pyms Humor ist einfach köstlich. Wie sich ihre Darsteller an kleinsten Alltagslappalien abarbeiten können, ist großes literarisches Kino. Allein das gemeinsame Abendessen mit den fünf unglücklich ineinander verliebten Hauptpersonen strotzt nur so vor subtilen, unterschwelligen Spitzen. Die Damen und Herren versuchen sich durch geistreiche Kommentare gegenseitig auszustechen. Leider – oder zum Glück für uns Leser – geht so mancher Schuss nach hinten los.

Zudem markiert die 1913 geborene Barbary Pym, die sich als Assistentin des African Institute in London mit ähnlichen beruflichen Tätigkeiten befasst hat, eine Ära des Umbruchs für Frauen. Dulcie ist zwar trotz gesichertem Auskommen berufstätig, aber eher zum Zeitvertreib. Viola verfügt über keinerlei Fertigkeiten im Haushalt und versucht ihre Männer über ihren Intellekt zu fesseln. Beide bemerken, dass sie ohne Ehemann zwar leben, aber etwas mitleidig von ihrem Umfeld belächelt werden. Laurel verkörpert hingegen den neuen Typus von Frau. In High Heels und farbenfroher Kleidung zieht sie mit ihren Freunden durch das Londoner Nachtleben, hört „merkwürdige“ Lieder von Musikern mit Haartolle und nimmt sich die Freiheit heraus, verschiedene Männer zu küssen, ohne ihnen gleich Heiratsversprechungen zu machen. Die einen treffen sich zu Teekränzchen, die anderen gehen zum Tanzen. Erstere liegen um 21 Uhr lesend im Bett, andere streifen um Mitternacht in U-Bahnen durch die Metropole. Ein Hilfsmittel ist beiden Generationen gemein: Alkohol erweist sich in kritischen Situationen stets als zuverlässiger Eisbrecher und Seelentröster.

Barbara Pyms treffsichere Gesellschaftsbeobachtungen aus Sicht der Frauen brachten ihr Vergleiche mit Jane Austen ein. Insbesondere ihre Hauptfigur Dulcie weist durchaus gewisse Parallelen zu Austens „Emma“ auf. Doch Pyms Pointen sind schwarzhumoriger. Ihre Frauen haben sich bereits diverse Unabhängigkeiten erarbeitet. Sie stehen zumindest mit 1,5 Beinen im wahren Leben, sind agiler und selbstbestimmter. Sogar Scheidungen werden langsam gesellschaftsfähig.

Fazit: Ein pointierter, humorvoller Roman über drei ungleiche Frauen im London der 1950er Jahre und ihre Liebesverwicklungen. Wem der Sinn nach stilvollem, literarischem Eskapismus schwebt, ist hiermit bestens beraten. It’s Tea Time! Und der Gin steht auch schon bereit.

Barbara Pym: In feiner Gesellschaft.
DuMont Buchverlag, Oktober 2020.
350 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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