Auður Ava Ólafsdóttir: Miss Island

Island ist das Land der Schriftsteller*innen, heißt es gemeinhin.  Auch Hekla, die Protagonistin dieses Romans, befasst sich mit dem Schreiben. Die Geschichte beginnt mit ihrer Geburt. Ihr Vater, der von Vulkanausbrüchen fasziniert war, benannte sie nach dem Vulkan Hekla, der viereinhalb Jahre nach ihrer Geburt ausbrach.

Später, im Alter von zweiundzwanzig verlässt die junge Hekla Eltern und Hof und fährt im Überlandbus nach Reykjavik. In der Hauptstadt möchte sie ihren Traum Schriftstellerin zu werden, verwirklichen. Während der Busfahrt lädt ihr Sitznachbar sie dazu ein, am Wettbewerb zur Miss Island teilzunehmen, was Hekla jedoch gar nicht interessiert. Ihr Wunsch ist es, Bücher zu schreiben, nicht ihren Körper „bewerten und vermessen lassen wie ein Stück Vieh“ (E-Book S. 160), wie ihr Vater es später ausdrücken wird. Doch immer wieder wird sie in der folgenden Zeit mit Miss Island in Verbindung gebracht.

In Reykjavik lebt auch ihr Freund Jón John aus der Jugendzeit. Jón John, mit dem sie seit damals ein Geheimnis teilt, bleibt ihr Verbündeter und Seelenverwandter. Als Homosexueller ist es Jón John in den Sechzigern unmöglich, so leben zu können, wie es seinen Neigungen entspricht. Auch Hekla hat mit Vorurteilen zu kämpfen. Die Schriftstellerei ist eine Männerbastion, eine Tätigkeit, die Frauen kein Podium bietet. Sie jobbt im Service eines Hotels, um danach in der Freizeit in Jón Johns Wohnung schreiben zu können. Bei ihrer Serviertätigkeit ist sie den Anzüglichkeiten vieler männlicher Gäste ausgesetzt. Immer wieder zeigt sich, dass sie als Frau nur auf ihre äußere Erscheinung reduziert wird.

In ihrer Beziehung zu einem Dichter kocht die Ironie der Geschichte richtig hoch. Literatur und Poetik bleiben ein geheimes Zimmer, dessen Zugang der Dichter wie selbstverständlich nur seinen Dichterfreunden zugesteht. Dabei hat Hekla bereits die nächste Stufe erklommen. Während der Dichter ihr großzügig die Rolle am Herd in seiner Wohnung anbietet, hat Hekla längst heimlich Fuß gefasst in der Verlagsszene. Bezeichnenderweise unter männlichem Pseudonym.

Später bringt ein Gespräch mit einem Verleger die Sache abermals  auf den Punkt. Dass Hekla nicht als Miss Island antreten wollte, erscheint dem Verleger weitaus interessanter, als ihr Buchmanuskript, das er ablehnt, denn schließlich hatte er ja eigentlich auch einen Mann als dessen Verfasser erwartet.

Hekla zieht ihre Konsequenzen. Sie kann und will ohne Schreiben nicht leben. Lebendig und frei zu sein gelingt ihr erst, als sie ihr Heimatland verlässt.

Dieser Roman behandelt amüsant und hintersinnig den Emanzipationsversuch einer jungen Isländerin in den sechziger Jahren.

Die Übersetzung ins Deutsche stammt von Tina Flecken.

Auður Ava Ólafsdóttir: Miss Island.
Insel Verlag, Juni 2021.
239 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.

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