Annette Wieners: Das Mädchen aus der Severinstraße

Annette Wieners kann gute Bücher schreiben. Spannende Krimis mit interessanten Charakteren und aktionsreicher Handlung. Sehr gerne habe ich ihre bisher drei Bücher gelesen um eine Friedhofsgärtnerin und ehemalige Kriminalbeamtin, die ihre Vergangenheit verarbeiten muss und in die Aufklärung übler Verbrechen hineingezogen wird.

Von dem vorliegenden Buch aber kann man leider nicht sagen, dass es ihr gelungen ist. Natürlich ist es für eine Rezensentin schwer, die Handlung eines Romans zu bewerten, der auf der Familiengeschichte der Autorin beruht. Aber auch bei familiärer Vergangenheitsbewältigung in Form eines Romans darf man packenden Schreibstil, fesselnden Handlungsverlauf, gut ausgearbeitete, sympathische und sich entwickelnde Charaktere erwarten.

Die Geschichte wird in zwei Zeitebenen erzählt. Die eine beginnt 1937 und schildert das Geschehen aus Sicht der 17-jährigen Maria Reimer in Köln. Nachdem sie die Schule verlassen hat, verbietet ihr der Vater die Ausübung eines Berufs. Sie setzt sich jedoch über dieses Verbot hinweg und bewirbt sich als Fotomodell. In dem Fotostudio begegnet sie dem Juden Noah. Schon bei der ersten Begegnung meint sie, sich in den jungen Mann zu verlieben und gefährdet ihn durch ihr Verhalten. Ihr Vater geht geheimnisvollen Dingen nach, in die er sie nicht einweiht. Dabei geht es insbesondere um einen kleinen Nachbarsjungen namens Elias, dem der Vater heimlich Brote zusteckt und den er später vor der Gestapo versteckt.

Eines Tages zieht in ein Haus auf der anderen Straßenseite ein junger Mann ein, Heinrich Schubert. Nachdem Marias Vater spurlos verschwunden ist, kümmert er sich um Maria.

Die zweite Zeitebene spielt heute und wird erzählt von Sabine, Marias Enkelin. Diese findet eines Tages im Haus der Großmutter mehrere große Geldbeträge und einige Goldbarren. Damit bringt sie ihre Großmutter dazu, über ihre Vergangenheit nachzudenken und Sabine nach und nach davon zu berichten.

Leider ist der Roman ohne Spannung, sowohl Maria wie auch Sabine bleiben schablonenhaft und flach, die Dialoge sind steif und unnatürlich, die Personen handeln teilweise nicht nachvollziehbar. Insbesondere die junge Maria kommt als unbelehrbares Prinzesschen herüber, die in einer in der damaligen Zeit höchst gefährlichen Art agiert. Die Handlung schreitet dabei kaum voran, ihre Gedanken drehen sich die ganze Zeit um Noah und um sich selbst. Dabei entstehen dann Sätze wie diese: Und schon wieder schlich sich die Erinnerung an Noah ein, und diesmal tat es sogar sehr weh. Der Bauch wurde hart, der Kopf kochte. Aber man durfte den Sorgen nie, niemals nachgeben (Seite 115).

Aber auch Sabine, die im Kölner Jugendamt arbeitet und sich hier für einen kleinen Jungen besonders engagiert – die Parallele zu Elias ist unübersehbar  – ist kein spannender Charakter. Bei Recherchen zu den gefundenen Wertsachen verliebt sie sich in einen Mitarbeiter der Firma, in welcher ihr Großvater – oben erwähnter Heinrich Schubert – viele Jahre gearbeitet hat.

Um diese Firma geht es in einem quasi parallelen Handlungsstrang, um die Verstrickungen der Firma in die Produktion von Rüstungsmaterial und die Beschäftigung von Zwangsarbeitern während des Dritten Reichs.

Im Nachwort erläutert Annette Wieners welche Teile des Romans die wirkliche Geschichte ihrer Familie erzählen und wo sie etwas hinzugefügt hat. So ist diese Firma Abbild einer damals tatsächlich existenten, deren Vergangenheit die Autorin recherchiert hat.

Ich hatte mich aufgrund meiner oben erwähnten bisherigen Erfahrungen mit den Büchern von Annette Wieners auf diesen Roman gefreut, auch weil Thema und Zeitebene ja durchaus reichlich Stoff für Spannung bieten. Leider wurde ich enttäuscht.

Annette Wieners: Das Mädchen aus der Severinstraße.
Blanvalet, September 2019.
480 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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