Annette Hess: Deutsches Haus

Eva Bruhns ist Mitte zwanzig und als Übersetzerin für Polnisch in einer Agentur angestellt, als sie 1963 überraschend angefragt wird, ob sie in einem Prozess gegen Personal des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz Zeugenaussagen übersetzen könnte. Bisher hatte sie vor allem Verträge und Gebrauchsanweisungen ins Deutsche übertragen und traut sich die Aufgabe nicht zu. Doch was sie über das Lager und die Gefangenen erfährt, lässt sie nicht mehr los. Sie fühlt eine Verbundenheit, die sie sich nicht erklären kann. Schließlich sagt sie zu, den ausgefallen Dolmetscher zu vertreten.

Ihre Eltern, die in Frankfurt die Gaststätte „Deutsches Haus“ betreiben, versuchen, sie davon abzubringen, diesen Auftrag zu übernehmen und auch Evas ältere Schwester Annegret schüttelt nur verständnislos den Kopf. Warum sollte man sich mit etwas beschäftigen, was zwanzig Jahre zurückliegt? Im Krieg geschehen nun einmal schlimme Dinge. Es ist besser, man spricht nicht mehr darüber.

Evas Verlobter Jürgen – wohlhabender Erbe eines Versandhandels – stellt sie sogar vor ein Ultimatum: er oder der Prozess. Schließlich ist er der Herr im Haus, dem die Frau auch schon vor der Hochzeit gehorchen muss.

Dieser Gegenwind weckt Evas Widerstandsgeist. Im Laufe des Verfahrens geschehen Dinge, die ihr Leben verändern. Die Aussagen der Opfer rütteln genauso an ihrem „schwachen Nervenkostüm“, wie die Uneinsichtigkeit der Angeklagten. Das Verhältnis zu ihren Eltern, ihrer Schwester Annegret und Jürgen verschlechtert sich, denn Eva spürt, dass auch sie etwas zu verbergen haben.

„Deutsches Haus“ ist der erste Roman der Drehbuchautorin Annette Hess. Aus ihrer Feder stammen die Fernsehserien Weissensee und Ku’damm 56 und 59, die ich mir sehr gerne angeschaut habe. Auch aus „Deutsches Haus“ könnte ein publikumswirksamer Film werden. Der Plot ist spannend, dramatisch und wartet mit einigen Wendungen auf. Doch als Roman hat mich das Buch etwas enttäuscht. Der Stil wirkt auf mich stellenweise holprig, die Wortwahl unbeholfen und bemüht. Vielleicht ist das der Grund, warum die Geschichte zwar meinen Kopf erreicht hat, aber über weite Strecken nicht mein Herz und meinen Bauch.

Es gibt durchaus Szenen, die mich berührt haben, wie etwa die Schilderung des Schicksals des Zeugen Otto Cohn oder des jungen Referendars David Miller. Auch der Vor-Ort-Termin in Auschwitz ist erschütternd. Ebenfalls eindrücklich dargestellt hat Annette Hess die Haltung der vielen Menschen in Deutschland, die nicht zurückschauen wollten oder sich darauf beriefen, nur Befehle ausgeführt zu haben.

Als David Miller der Prostituierten Sissi von seinen Erlebnissen im Lager berichtet und sie völlig unbeteiligt weiter Wäsche aufhängt, denkt er, er habe die Geschichte anscheinend nicht richtig erzählt. Und damit trifft er genau, was ich beim Lesen mancher Abschnitte gefühlt und gedacht habe.

Ich tue mich schwer damit, den Roman uneingeschränkt zu empfehlen. Einerseits behandelt er ein wichtiges Thema, über das man nicht genug wissen kann und das es verdient, von vielen Seiten beleuchtet zu werden. Andererseits genügt er sprachlich meinen Erwartungen nicht ganz.

Deshalb mein Tipp: Lesen Sie einfach in einer Buchhandlung hinein oder laden Sie sich eine Leseprobe herunter und machen Sie sich selbst ein Bild.

Annette Hess: Deutsches Haus.
Ullstein, September 2018.
368 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.

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Ein Kommentar zu “Annette Hess: Deutsches Haus

  1. Im Gegensatz zur obigen Rezension hat mich dieses Buch von der ersten bis zur letzten Seite gepackt. Und gerade die etwas trockene und unpersönlich wirkende Sprache ist m.E. notwendig, dass die Geschichte nicht allzu sehr emotional wird.
    Mir hat auch die Schilderung der 60er Jahre sehr gut gefallen, der beginnende Wohlstand, aber leider auch die beginnende Angst vor den Fremden (damals Italiener) und der Widerstand dagegen. Es hat sich halt leider nichts geändert – bis heute nicht….Ich empfehle dieses Buch sehr gerne weiter.

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