Anne Freytag: Nicht weg und nicht da

Kaum zwei Monate sind seit dem Tod ihres Bruders Kristopher vergangen. Die 15-jährige Luise vergräbt sich seitdem, rasiert sich den Kopf kahl und hat in der Schule eine Mitschülerin angegriffen. Nun muss sie zu einer Therapie gehen, in der sie schweigsam ihre Zeit absitzt. Warum sollte ihr Reden mit einem Fremden etwas bringen? Vor allem, wenn ihre eigene Mutter kaum mehr mit ihr spricht? Denn Zeit seines Lebens brauchte Kristopher mit seiner bipolaren Störung die volle Aufmerksamkeit beider Elternteile. Als schließlich eine Email vom toten Kristopher eintrifft, horcht Luise auf. Er schreibt von einer Zwischenwelt, in der er gefangen sei und nur sie, seine Schwester, könne ihm helfen, diese Zwischenwelt zu verlassen.

Der Roman wird abwechselnd aus zwei Perspektiven erzählt. Die Kapitel sind dabei sehr knapp gehalten, es kommt zu häufigen, aber gelungenen Wechseln. Meist weiß man sehr genau, bei welcher Figur man sich befindet. Luise trauert um ihren älteren Bruder, der vor wenigen Wochen Selbstmord begangen hat. Ihr hat er nur einen Zettel mit einem einzigen Satz hinterlassen. Luise schwankt zwischen Wut und Trauer und das Leben zieht an ihr vorüber. Die andere Figur im Roman ist Jacob. Er war früher mit Kristopher in einer Klasse, hatte aber wenig mit dem anderen Jugendlichen zu tun. Er wohnt in dem Haus, in dem Luises Therapeut seine Praxis hat und trifft somit unweigerlich auf Luise, die ihn mit ihrem kahlgeschorenen Kopf fasziniert.

Anne Freytag, die für gefühlvolle Jugendromane bekannt ist, schafft auch mit „Nicht weg und nicht da“ wieder ein solches Buch. Neben der Trauer, die natürlich einen festen Platz in der Geschichte hat, geht es auch um Freundschaft, Liebe und Familie. Die Autorin behandelt die Themen so, dass Jugendliche ab 14 Jahren Interesse daran haben können, aber auch erwachsene Leser und Leserinnen voll auf ihre Kosten kommen. Sie hat eine sehr poetische, dennoch treffende Sprache und einen Schreibstil, bei dem die Seiten nur so dahinfliegen.

Auch „Nicht weg und nicht da“ ist ein Buch zum Abtauchen zwischen den Seiten.  Luise und Jacob sind zwei Figuren wie aus dem Leben gegriffen. Sie haben Ecken und Kanten, jeder seine eigene Vergangenheit. Luise musste beispielsweise in ihrer Kindheit sehr viel zurückstecken gegenüber ihrem kranken Bruder. Sie war immer das brave, nette Kind, um das man sich zum Glück weniger kümmern musste. Nach dem Zerfall der Familie – der Vater hat sich schon vor Kristophers Tod von der Mutter getrennt – und dem Tod des Bruders müssen sich Luise und ihre Mutter miteinander befassen. Das fällt jedoch beiden Seiten schwer und sorgt in der Geschichte für zusätzliche Schwierigkeiten. Und dann ist da schließlich noch Jacob, der etwas verschlossen wirkt, sehr ruhig agiert und eigentlich lieber allein wäre, so wie er es gewohnt ist. Luise wäre allerdings auch lieber für sich – wie passen die beiden dann zusammen? Das kann man in „Nicht weg und nicht da“ auf wundervolle Art und Weise lesen!

Ein toller Roman, der von gelungenen Zitaten und seiner schönen Geschichte lebt! Unbedingt lesen!

Anne Freytag: Nicht weg und nicht da.
Heyne, März 2018.
480 Seiten, Gebundene Ausgabe, 16,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Janine Gimbel.

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