Anika Decker: Wir von der anderen Seite

Anika Decker ist Drehbuchautorin, ihre bekanntesten Filme sind Keinohrhasen und Zweiohrküken. Dieses Buch ist ihr Debüt als Romanautorin.

Obwohl der Roman eine fiktive Protagonistin hat, schildert Anika Decker ihr eigenes Erleben. Vor etwa zehn Jahren erkrankte sie schwer an einer Blutvergiftung mit komplettem Organversagen. Das Buch beschreibt den Krankheits- und Genesungsverlauf, beginnend mit ihrem Erwachen aus einem tagelangen Koma. Die Protagonistin Rahel durchläuft die verschiedenen Stadien der Behandlung von der Intensivstation zur Spezialklinik bis zur Reha. Dabei wird mit entwaffnender Offenheit von allen Aspekten einer solch schweren Erkrankung erzählt, auch von den „ekligen“. Neben der Krankheit wird auch die Beziehung Rahels zu ihrem Freund Olli bis aufs Kleinste seziert.

Beeindruckend intensiv geschildert und nachdenklich machend sind vor allem die Untersuchungen, die Rahel wieder und wieder über sich ergehen lassen muss. Der Verlust der Selbstbestimmtheit macht ihr zu schaffen, die Arroganz und Distanz, mit der Ärzte mit ihren Patienten umgehen, läßt sie oft verzweifeln. Umso dankbarer ist sie für die wenigen Ärzte und Krankenschwestern, die den Menschen hinter dem Patienten sehen.

Anika Decker gelingt es sehr geschickt, die Balance zwischen Humor, Witz und Ironie auf der einen und Tragik, Sensibilität und Spannung auf der anderen Seite zu halten. Die Szenen, in denen Rahels Mutter an ihrer Seite zu Hochform aufläuft, in denen ihr Vater durch wunderbar zarte Sätze seine Liebe zu seiner Tochter ausdrückt oder wenn Rahel um ihr neuestes Drehbuch kämpft sind die schönsten des Romans.

Auch die auftretenden Personen sind herrlich beschrieben, mit spitzem Stift und viel liebevollem Humor. Einzig besagter Olli kommt nicht so gut weg, so dass man sich fragt, ob hier vielleicht die Realität der Autorin beim Schreiben die Hand geführt hat.

Es ist für die Leserin schwer bis unmöglich, zu erkennen, was Tatsache und was Fiktion ist in diesem Buch. Decker selbst sagt dazu in einem Interview: „ Das Buch ist weitaus weniger autobiografisch, als man denken würde.“  Im Grunde tut das aber nichts zur Sache, im Grunde ist „Wir von der anderen Seite“ ein locker-flockiges Buch für kurzweiliges Lesen mit gerade der richtigen Menge Tiefgang. Und ich weiß, dass ich mit Sicherheit weitere Bücher von Anika Decker lesen werde, sollte es nicht bei diesem von ihr einen bleiben.

Anika Decker: Wir von der anderen Seite.
Ullstein, Juli 2019.
384 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.