Alexa Hennig von Lange: Die Weihnachtsgeschwister

Weihnachten, das Fest der Liebe, harmonisch gefeiert im familiären Kreis? Wohl eher die Ausnahme. Sind es meist Generationenkonflikte zwischen Eltern und Kindern, so lässt es Alexa Hennig von Lange in ihrem neuen Buch zwischen den Geschwistern Tamara, Elisabeth und Ingmar eskalieren. In Ihrer Kindheit ein Herz und eine Seele, haben sie sich im Laufe der Zeit auseinandergelebt. Seit Jahren ist Dauerstreit angesagt, sobald die drei Geschwister im Elternhaus eintreffen. Wie konnte es soweit kommen? Was hat einen Keil zwischen sie getrieben? Auf äußerst empathische und reflektierte Weise geht die Autorin diesen Fragen auf den Grund.

Nein, sie stammen nicht aus einer dysfunktionalen Familie, stellt die sensible Elisabeth in ihrem alten Zuhause fest. Ihre Eltern haben ihnen eine behütete Kindheit geboten. Viele schöne Erinnerungen sind in ihrem Elternhaus verankert. Hier scheint die Zeit still zu stehen. Der Walnussbaum, auf dem sie in ihrer Kindheit herumgeklettert ist, steht noch genauso wie ihre selbstgemalten Kunstwerke aus dem Kindergarten. Ihr Elternhaus wäre der ideale Ort, um Kraft zu tanken. Wenn da nur nicht die streitsüchtigen Geschwister wären! Diese sind mittlerweile zwischen Mitte Dreißig und Anfang Vierzig, verheiratet, haben eigene Kinder, stehen im Berufsleben. Von dem einstigen Band ist allerdings nichts mehr zu spüren. Allen voran Tamara, die älteste Schwester, fällt durch extrem aggressives Auftreten auf. Sie scheut sich nicht, andere bezüglich ihrer Erziehungsmethoden anzugreifen, sich über mangelnde Bildungsabschlüsse lustig zu machen und sogar Elisabeths neuen Freund anzubaggern. Ingmar, der jüngste, arbeitet in einem Umweltinstitut, unterstützt seine Frau bei ihrer Heilpraktiker-Ausbildung und kümmert sich liebevoll um seine Zwillinge, die er nach Tamaras Ansicht verhätschelt. In ihren Augen ist er zu einem Öko-Hipster geworden, der anderen ständig ein schlechtes Gewissen einredet und sich moralisch überlegen fühlt. Elisabeth leidet am meisten unter der miesen Stimmung. Hat sie doch bereits zwei Scheidungen hinter sich, zieht ihre beiden Kinder alleine groß und befürchtet, die Beziehung zu ihrem neuen Freund Holger ebenfalls zu verderben. Dabei führt sie von außen betrachtet das schillerndste Leben. Eine unabhängige Frau, die sich selbst finanziert, ihre Männer nach Gusto wechselt und als Übersetzerin einen aufregenden Job hat. Für Tamara, die seit der Geburt ihrer Söhne „nur noch“ Hausfrau ist, ein Affront.

Warum die Geschwister aufeinander losgehen, beleuchtet Alexa Hennig von Lange auf faszinierende Weise. Wie ein Flummiball beschreibt sie die Gesamtsituation einmal von ganz oben, über der Szenerie schwebend, um im nächsten Moment ganz nah auf Augenhöhe in die Protagonisten hineinzusehen. So kommt schnell heraus, dass hinter dem aggressiven Verhalten eigene Probleme stehen. Neid und Selbstzweifel, das unerfüllte Bedürfnis nach Abenteuer oder Sicherheit, Eheprobleme, Angst vor Verantwortung. Doch die Eltern, die dem Treiben der Geschwisterkinder scheinbar machtlos gegenüberstehen, bedienen sich eines Tricks. Nachdem der Vorabend der Feier mal wieder eskaliert ist, sind sie am Weihnachtsmorgen verschwunden. Notgedrungen müssen sich Tamara, Elisabeth und Ingmar zusammenraufen…

Für Literaturfans der Autorin gibt es ein Wiedersehen. Die Leitfigur der Elisabeth tauchte in der einen oder anderen Form bereits in ihren früheren Werken auf. Durch den Roman „Relax“ wurde Alexa Hennig von Lange 1997 zur Ikone der deutschen Popliteratur. Vor allem aufgrund ihres Jugendslang-Schreibstils. Mit den Jahren entwickelte die Autorin mit den roten Locken ihre Figuren immer weiter und begleitete sie ins Erwachsenenleben hinein. So dürfte Elisabeth auch zum Sinnbild ihrer eigenen Vita geworden sein. Alexa von Hennig Lange hat fünf Kinder von drei Ehemänner und ein recht bewegtes, kreatives Leben zwischen Hannover, Berlin und Brandenburg. Neben ihren Büchern schrieb sie auch Theaterstücke und war zudem als Drehbuchautorin für die Soap „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, Model und Moderatorin einer Kindersendung tätig.

Wer selbst unter stressigen Familienkonflikten über die Feiertage leidet, dem sei dieses Buch wärmstens ans Herz gelegt. Es schafft Empathie und Verständnis und lädt ein, hinter die Fassaden zu blicken? Fühlt sich der andere unbewusst ausgegrenzt, herabgesetzt, minderwertig? Gibt es alte Wunden, die nicht verheilt sind? Könnte ein Schritt aufeinander zu bereits Wunder bewirken? Auch Weihnachtsfans kommen auf ihre Kosten, da Alexa Hennig von Lange es schafft, die besondere Atmosphäre des Festes einzufangen, ohne dabei in Kitsch zu verfallen.

Fazit: Ein berührendes, nostalgisches und optimistisches Buch zum Fest der Liebe!

Alexa Hennig von Lange: Die Weihnachtgeschwister.
DuMont Buchverlag, Oktober 2019.
160 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

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