Alex Wheatle: Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann

Mo, Elaine und Naomi sind beste Freundinnen. Sie leben in einem Stadtteil, der in der Presse mit den freundlichen Worten sozialer Brennpunkt umschrieben würde. Alle drei sind fünfzehn Jahre alt, sehnen sich nach einem normalen, friedlichen Familienleben und erleben jede auf ihre Art die erste Liebe.

In Mos Gefühlswelt konkurriert die Sehnsucht nach Geborgenheit und Liebe mit einer großen Portion Wut und Hass. Denn sie hat noch nicht einmal annähernd ein normales Familienleben: Ihre kranke Mutter findet stets die falschen Typen, und der Job in der Wäscherei erlaubt finanziell nur winzig kleine Sprünge. Leider ist der neue Freund ihrer Mutter der Schlimmste von allen, findet Mo. Gerade auf Bewährung draußen nistet er sich bei ihnen ein. Der Neue hat auch kein Problem damit, die letzten 5 Pfund einzustecken, während Mo nichts zu essen hat und im Kühlschrank nur Bierdosen stehen.

Der Typ muss weg, schimpft Mo. So schnell wie möglich. Sie zeigt es ihm auf die einzige Art, die ihr zur Verfügung steht. Dabei verliert sie völlig die Kontrolle über ihre Gefühle und zeitweise über ihr Leben.

Alex Wheatle hat mit seinem aktuellen Roman wieder eine Geschichte einiger Jugendliche aus dem Ortsteil South Crongton aufgegriffen. Die Gangs aus dem Norden und Süden bekriegen sich schon seit Generationen, so dass niemand mehr die wahre Ursache der Fehden kennt. Zwischen Drogen und Gewaltexzessen unbeschadet einen Schulabschluss und eine Ausbildung zu schaffen, gleicht einem Wunder.

Der Autor lässt Mo erzählen, wie sie Lieblosigkeit und Armut erlebt. Ihre vom Leben gezeichnete Mutter macht sie nur noch wütend. Sie will endlich eine echte Mum, eine die für sie da ist, ihr ein Mittagessen kocht und keinem Gangster erlaubt, sie zu schlagen. Sie steckt mitten in einem unfairen Kampf, der ihrem Leben eine ungewöhnlich brutale Eigendynamik verschafft.

Alex Wheatle zeigt sehr plausibel und ungeschminkt, wie sich Kinder und Jugendliche in einem Ghetto ihren Weg freiboxen. Seine weiblichen Charaktere sind die wahren Helden, tapfer und mutig. Sie meistern ihren Alltag eigenständiger und erwachsener als mancher Volljährige. Es braucht viel Kraft, den eigenen Kurs zu halten. Bei Mo ist der Motor für diese Kraft Freundschaft und Mut. Und am dramatischen Ende der gefühlsgewaltigen und spannenden Geschichte knallt die Wendung nach der Wendung dem Leser mit einer solchen Wucht in den Magen, dass ein Verstehen und Begreifen alle möglichen Vorurteile pulverisiert.

Der Geheimtipp Alex Wheatle sollte nach seinem zweiten Jugendroman keiner mehr sein. Denn so offen und ehrlich wie er schreibt vermutlich keiner.

Alex Wheatle: Wer braucht ein Herz, wenn es gebrochen werden kann.
Verlag Antje Kunstmann, März 2019.
280 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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