Ada Dorian: Die Zähmung der Tiere

Desillusioniert und mit einem Kater wacht Thomas auf der Dachterrasse eines Istanbuler Hotels auf. Seine Verhandlungen um den Militärstützpunkt Incirlik und das Besuchsrecht deutscher Abgeordneter waren ohne greifbares Ergebnis geblieben. Hat er tatsächlich den richtigen Beruf gewählt? Auch privat ist er unzufrieden: Mit der Wissenschaftlerin Simone führt er eine Fernbeziehung, wäre ihr aber auch räumlich gerne näher.

Der französische Journalist Clément wird von seinem Kollegen Jules auf eine Story angesetzt, die sein Leben verändern wird. Drei junge Türken suchen nach der Schriftstellerin Nilay, die seit dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 spurlos verschwunden ist und setzen dafür alle Hebel in Bewegung. Nilays Märchen, die oft von Tieren handeln, enthalten beim genaueren Hinsehen politischen Sprengstoff. Nicht weniger gefährlich sind die Zeichnungen, die der Kuratorin Christiane angeboten werden.

Die italienischen Mode-Designerin Francesca ist sich mit ihrem Mann uneins darüber, ob sie die Produktion ihrer Stoffe aufgrund der instabilen Situation im Land von der Türkei nach Vietnam verlagern sollen.

Selbst in den USA sind die Auswirkungen der politischen Veränderungen in der Türkei auf individueller Ebene spürbar.

Scheinbar zusammenhanglos stehen die ersten Kapitel von Ada Dorians neuestem Buch nebeneinander, doch dann verweben sie sich nach und nach zu einem Ganzen, das berührt, bewegt und die Leserinnen und Leser zum Nachdenken bringt. Im Fokus steht die gesellschaftliche und politische Lage in der Türkei, die das Land spaltet und innerhalb und außerhalb Unsicherheiten weckt.

Ada Dorian verleiht ihren Figuren Persönlichkeit. Schnörkellos und dennoch poetisch erzählt sie ihre Geschichten, die geprägt sind von Veränderung und Verlust. Man nimmt den Protagonisten ihre Wut, ihre Trauer und Verzweiflung, ihre Frustration und ihr Aufbegehren, aber auch ihre kleinen Hoffnungsschimmer ohne weiteres ab.

„In der Türkei ist Schreiben zu einer schicksalhaften Tätigkeit geworden, die sich oft anfühlt, als ob ein Geschoss von einem hauchdünnen Papier zurückgeworfen wird und einen selbst trifft.“ Dieses Zitat der türkischen Journalistin und Autorin Aslı Erdoğan stellt Ada Dorian ihren Geschichten voran. Schon dieser Beginn weist darauf hin, dass sie in ihrem Buch Stellung bezieht: für Presse- und Meinungsfreiheit, aber auch für Offenheit gegenüber anderen Kulturen und Ländern und für ein demokratisches Europa.

„Die Zähmung der Tiere“ ist ein politisches Buch, das dazu herausfordert, sich eine Meinung zu bilden. Unwillkürlich beginnt man sich zu fragen, was das eigene Handeln bewirkt, welche politische und persönliche Verantwortung man trägt und welche Haltung man in Bezug auf Europa und Demokratie einnimmt. Es unterhält auf intelligente Weise und setzt Impulse zum Weiterdenken und -handeln.

Ich habe diese Herausforderung gerne angenommen und bin mit einem sehr gut geschriebenen Buch und vielen Anregungen belohnt worden, die mich noch lange beschäftigen werden.

Klare Empfehlung für politisch interessierte Menschen und solche, die es werden wollen.

Ada Dorian: Die Zähmung der Tiere.
Ullstein, Oktober 2018.
224 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.

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